Valentinstag ist der Tag der Liebenden – Wir haben für euch tief ins Archiv gegriffen und Szenen der Liebe aus mehreren Jahrtausenden rausgesucht. Das Ergebnis beweist: Liebe ist keine neue Erfindung und sie hat seit jeher die Kunst inspiriert. In diesem Sinne: One Love!
Die Gipsformerei hat kürzlich einen ihrer größten Aufträge abgeschlossen: Eine originalgetreue Replik des “Großen Kurfürsten” von Andreas Schlüter. Wir haben die Werkstattleiter Thomas Schelper und Stefan Kramer besucht und uns den Arbeitsprozess von ihnen genau erklären lassen.
Am vergangenen Dienstag haben Thomas Schelper und Stefan Kramer drei Kreuze gemacht. Denn da konnten die beiden Werkstattleiter der Gipsformerei ganz offiziell ein Mammutprojekt abschließen, an dem sie und ihr Spezialistenteam die letzten 14 Monate intensiv gearbeitet hatten: Einen vollständigen und maßstabsgetreuen Abguss des „Großen Kurfürsten“. Das monumentale Reiterstandbild war ab 1696 von Andreas Schlüter für Friedrich Wilhelm von Brandenburg entworfen worden und ist eines der größten Objekte im Katalog der Gipsformerei. 2015 hatte das Museo Internacional del Barroco in Mexiko eine Replik bestellt.
Spurensuche im Keller
„Das größte Abenteuer war der Beginn“, erzählt Thomas Schelper. „Die Abgussformen lagerten seit Jahrzehnten verpackt in staubigen Kisten im Keller. Wir wussten gar nicht, ob überhaupt alle Einzelteile da sind.“ Doch Schelper und seine KollegInnen waren optimistisch, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass sie sich in der Regel auf die Sorgfalt ihrer Vorgänger verlassen können. So war es auch dieses Mal: Als sie die alten Kisten öffneten, erkannten die Fachleute erleichtert, dass alle Formen vorhanden und mit Zetteln versehen waren.
Die Formen der Monumentalskulptur sind seit 1902 im Bestand der Gipsformerei. Sie wurden damals direkt vom Bronze-Original abgenommen, das heute vor dem Schloss Charlottenburg steht, und sind seither nur dreimal zur Anwendung gekommen: Einmal für die Galvanoplastik von 1904, die Besucher im Foyer des Bode-Museums begrüßt; ein weiteres Mal in den 1920er Jahren, als ein Abguss für das auf deutsche Kunst spezialisierte Busch-Reisinger Museum bei Boston gemacht wurde; und schließlich für den aktuellen Auftrag des Barock-Museums in Mexiko, das neben dem Meisterwerk noch mehrere kleine Büsten und Objekte geordert hat.
„Es war ein ziemliches Chaos“
Nach der ersten Erleichterung über den Kellerfund ging es für das Team der Gipsformerei direkt an die Arbeit. Denn die Formen waren zwar vorhanden, sie waren jedoch nirgends verzeichnet oder inventarisiert – offenbar hatte man beim Verstauen nicht damit gerechnet, dass jemals wieder ein Abguss der riesigen Skulptur gemacht werden würde. Oder der ungeordnete Zustand deutet auf eine überstürzte Rettungsaktion in Kriegstagen hin. „Es war jedenfalls ein ziemliches Chaos“, erzählt der Werkstattleiter, „denn insgesamt besteht die Form des Großen Kurfürsten aus 20 Teilabformungen bestimmter Bereiche der Skulptur, die selbst wiederum aus bis zu 100 einzelnen Teilen bestehen – ein gigantisches Puzzle.“
Der Grund für die vielen Einzelteile liegt in der spezifischen Abgusstechnik mit starren Formen, die in historischen Zeiten üblich war. Die so genannten „Gipswachsstückformen“ sind zwar sehr robust und erlauben die genaue Wiedergabe aller Details eines Originals; anders als moderne, flexible Silikonformen kann man die Formen jedoch nicht einfach dehnen und vom gegossenen Stück abziehen. Um die Formen nach dem Abbinden des Gipses ohne Beschädigung wieder von Überschneidungen, also überstehenden Teilen und Aussparungen, abnehmen zu können, musste man sie in einzelne Klein- und Kleinstformen zerlegen.
Hunderte Einzelteile
Die „Bergung“ der Formen war der erste Schritt eines langen Arbeitsprozesses, der im November 2015 begann. In der Werkstatt der Gipsformerei wurden die Formen zunächst gesichtet und gereinigt, bevor die einzelnen Teilabformungen mit einem Trennmittel aus Wachs versehen, zusammengesetzt und schließlich mit Gips ausgegossen wurden.
Wenn alle Einzelteile einer Replik in Gips gegossen und durchgetrocknet sind, werden die Nähte gesäubert, die die Fugen der Einzelformen hinterlassen, und es folgt eine aufwendige Nacharbeit. „Die Retusche macht etwa 80 Prozent des Arbeitsprozesses aus“, sagt Schelper, “während das eigentliche Abgießen und die Bemalung jeweils etwa 10 Prozent ausmachen.“
Der Rock des Kurfürsten war eines der kompliziertesten Teile. Er bestand aus über 100 Teilformstücken, die korrekt zusammengesetzt werden mussten. Man kann sich vorstellen, was für einen immensen Aufwand allein die Retusche der vielen Nahtstellen und filigran ausgearbeiteten Einzelheiten bedeutete.
Die Skulptur ist zu groß für die Werkstatt
Neben der eigentlichen Skulptur stellte auch der Sockel des Standbildes eine besondere Herausforderung für das Team der Gipsformerei dar: Er war nämlich nicht vorhanden. „Es gab keine Form für den Sockel, also haben wir improvisiert“, erzählt Stefan Kramer. „Wir haben hier vor Ort in alter Stuckateurtechnik eigens eine Ziehschablone für das Profil der Sockelkanten gebaut.“
Erst nach Abschluss all dieser Arbeitsprozesse konnte die Skulptur erstmals komplett zusammengesetzt werden. Für die Endmontage mussten die Gipskunstformer mit ihrem Werkstück in die Modellhalle der Gipsformerei umziehen, erklärt Schelper: „Die Skulptur ist mit 4,20 Metern Höhe schlicht zu groß, um sie in der Formerwerkstatt im Hauptgebäude zusammenzusetzen.“
Die gesamte Skulptur besteht aus vier großen Einzelteilen: dem Pferdekopf, dem Oberkörper des Kurfürsten sowie dem Schweif und dem Rumpf des Pferdes. Alle Einzelteile wurden erst grob angepasst und dann mit Gips verklebt. „Für das beste Ergebnis werden die Einzelteile laminiert“, erklärt der Profi, „dazu tränken wir Jute in Gips und verkleben damit die einzelnen Elemente – so können wir auch noch einzelne Stellen modellieren und produktionsbedingte Fehlstellen kaschieren.“
Metallrohre sorgen für Stabilität
Eine weitere Herausforderung für das Team war die Statik des Objektes, denn obwohl das Reiterstandbild hohl ist wiegt es dennoch gute 1,5 Tonnen. „Die anderthalb Tonnen Gips ruhen allein auf den drei Pferdefüßen, die ein kleines Dreieck bilden“, erklärt Stefan Kramer, der mit Thomas Schelper gemeinsam die Werkstatt leitet. „Eine Konstruktion zu entwickeln, die das Gewicht halten kann, ohne nach außen sichtbar zu sein, war nicht einfach.“
Die Lösung des Problems: In der gesamten monumentalen Skulptur sorgen eingelassene Metallrohre für Stabilität. Sie sind deutlich robuster als die geschmiedeten Vierkanteisen, die etwa noch bei der 1920er-Version in Boston eingesetzt wurden. Dass die Gipsformerei eine hauseigene Schmiede und einen eigenen Schlosser beschäftigt, erleichterte die Konzeption des Metallgerüsts enorm.
Im letzten Schritt bekommt die Skulptur Farbe: Die Skulpturenmaler tragen in mehreren Schichten eine Bronzefassung auf. Zunächst wird dafür eine Grundierung aufgelegt, die den Grundton bestimmt. Darüber wird die eigentliche Farbe aufgebracht, die aus Schelllack mit Pigmenten und Bronzepulver besteht. Schließlich folgt eine finale Patina, die den Grünspan des Originals simuliert.
„Es wird nicht weniger aufwendig“
Die Reproduktion ist so konzipiert, dass man sie auseinandernehmen kann, denn als komplettes Stück ließe sie sich kaum transportieren. So können Pferdekopf, Oberkörper des Kurfürsten, Schweif und Rumpf des Pferdes in kleineren Kisten getrennt verpackt werden. „Klein“ ist hier relativ, denn die Kisten sind trotzdem noch so groß, dass man einen Tieflader braucht, um alles abzutransportieren.
In jeder Holzkiste wird beim Verpacken eine individuelle Dämpfung eingebaut, sodass die einzelnen Elemente absolut stoßsicher verpackt sind. Diese Arbeiten wurden am Montag und Dienstag von der Firma Hasenkamp erledigt, bevor die Bestellung auf den weiten Weg nach Mexiko gebracht werden konnte.
Die Replik des „Reiterstandbildes des Großen Kurfürsten“ ist die bislang teuerste Figur der Gipsformerei und eine der größten, die hier gefertigt wurden. Für Thomas Schelper, Stefan Kramer und ihre Kollegen der Gipsformerei bleibt aber nicht viel Zeit zum Ausruhen, denn das nächste Projekt hat schon begonnen. Was es ist, wird noch nicht verraten – nur so viel gibt Schelper Preis: „Es wird nicht weniger aufwendig als der letzte Auftrag.“
Unsere Reihe „Backstories“ erzählt bemerkenswerte Objektgeschichten aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin. In dieser Folge geht es um den 1908 entdeckten “Schädel von Le Moustier”, dem ein internationales Forscherteam in den 1990er Jahren sein Gesicht wiedergab.
Anlässlich des Internationalen Museumstags 2017 unter dem Motto “Spurensuche. Mut zur Verantwortung!” haben wir im Zentralarchiv nachgefragt, wie dort mit der Verantwortung für die Provenienzen der Objekte umgegangen wird. Volontär Antonio Rogus erklärt einen typischen Vorgang.
Text: Antonio Rogus
„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!“, schreibt Alexander Freiherr von Reitzenstein 1933, „aus dem Besitz einer früher regierenden fürstlichen Familie soll die anliegend in Photo abgebildete lebensgroße Marmorbüste des Großen Kurfürsten verkauft werden.“ Das Schreiben vom 16. Dezember 1933 ging an Hermann Göring, dem damit die 97 cm große Marmorbüste des Großen Kurfürsten Friedrich-Wilhelm von Brandenburg zum Kauf angeboten wurde.
Auch wenn es nicht Hermann Göring war, so fand sich dennoch schnell ein Käufer für die Büste des Kurfürsten. Im Januar 1934 bewilligte Dr. Theodor Demmler, Leiter der Skulpturenabteilung des Kaiser-Friedrich-Museums (heute Bode-Museum) den Ankauf des Objekts für 2500 Reichsmark. Zur damaligen Zeit eine glückliche Erwerbung – aus heutiger Sicht jedoch äußerst kritisch zu betrachten, da nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 nicht mehr von einem freien Kunstmarkt gesprochen werden konnte.
So wurden vielfach Kunstwerke gehandelt und verauktioniert, die heute unter der Bezeichnung „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter“ zusammengefasst werden. Objekte aus Beschlagnahmungen und Zwangsversteigerungen jüdischer Sammlungen, aber auch Verkäufe durch jüdische Bürger selbst, um beispielsweise die „Judenvermögensabgabe“ oder die eigene Flucht ins Ausland finanzieren zu können. Selten wurden hierbei angemessene Preise erzielt, da die Besitzer unter finanziellem und politischem Druck schnell verkaufen mussten. Zahlreiche Kunstwerke gelangten unter diesen Umständen in deutsche Museen und verblieben dort auch bis nach dem Krieg – oder sogar bis heute.
Erst seit 1998, nach einer internationalen Konferenz in Washington, an der auch Deutschland teilnahm, wurde die Suche nach Kulturgut, das im Nationalsozialismus seinen rechtmäßigen Eigentümern entzogen wurde, verstärkt vorangetrieben. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat seitdem mehr als 350 Werke aus den Staatlichen Museen zu Berlin zurückgegeben. Solchen Restitutionen gehen in der Regel Forschungen zur Provenienz der Kunstwerke voraus.
Erste Anhaltspunkte in der Provenienzkette
Die Provenienzforschung ist am Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin angesiedelt, da hier die Aktenbestände der Staatlichen Museen, darunter Korrespondenzen zu Erwerbungen, Auktionen und Leihgaben von Kunstwerken, aufbewahrt und erschlossen werden. Und so begann hier auch die Recherche zu der um 1650 entstandenen Marmorbüste des Großen Kurfürsten Friedrich-Wilhelm von Brandenburg, die sich heute in der Skulpturensammlung im Bode-Museum befindet.
Aus dem eingangs erwähnten Schriftwechsel erfährt man, dass das Kunstwerk 1934 von Alexander Freiherr von Reitzenstein für 2500 Reichsmark an das Kaiser-Friedrich-Museum verkauft wurde und dass es sich vormals im Besitz der Familie von Sachsen-Weimar befand. Auch ein Blick in die Inventarbücher der Skulpturensammlung bestätigt dies. Der erste Anhaltspunkt in der Provenienzkette des Objekts ist somit vorhanden. Doch wer war Alexander Freiherr von Reitzenstein?
Die Familie Reitzenstein ist ein fränkisches Adelsgeschlecht, das sich bis ins späte Mittelalter zurückverfolgen lässt. Der Stammbaum der Familie reicht bis ins 20. Jahrhundert, auch der Name Alexander von Reitzenstein taucht darin auf, ein 1904 geborener Kunsthistoriker, der als Verkäufer der Büste des Großen Kurfürsten in Frage kommt. Die anfängliche Literaturrecherche ergab keine Hinweise auf ein Verfolgungsschicksal, der nächste Schritt war nun eine Überprüfung einschlägiger Datenbanken.
Ein verdächtiger Wiedergutmachungsantrag
Dazu gehört die Website lostart.de, betrieben vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Dort werden Suchmeldungen von Institutionen und Privatpersonen zu entzogenen oder kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern und auch Fundmeldungen ebensolcher veröffentlicht. Auch das in Los Angeles ansässige Getty Research Institute bietet über den Provenance Research Index® eine Datenbank deutscher Auktionskataloge, in der nach einzelnen Objekten gesucht werden kann, um mögliche Hinweise auf Vorbesitzer und Auktionsumstände zu erhalten.
Die Suche nach der Büste des Großen Kurfürsten war in diesen Datenbanken ergebnislos. Ein alarmierender Eintrag fand sich jedoch in der WGA-Datenbank des Landesarchivs Berlin, in der alle Wiedergutmachungsanträge verzeichnet sind, die nach dem Krieg von Geschädigten und Verfolgten bei den jeweiligen Behörden gestellt worden waren. Eine gewisse Josefine Freifrau von Reitzenstein stellte 1950 einen solchen Antrag auf Entschädigung für den Verlust von Verlagsanteilen, Möbeln und eben auch Kunstgegenständen. Durch die offensichtliche Familienzugehörigkeit zu Alexander von Reitzenstein geriet die Marmorbüste nun in Verdacht, verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu sein. Ein Besuch im Landesarchiv Berlin und die Einsicht der entsprechenden Wiedergutmachungsakten konnten diesen Verdacht jedoch nicht erhärten.
Josefine Freifrau von Reitzenstein, geborene Schoenfeld war mit Hans-Joachim Freiherr von Reitzenstein verheiratet, nach dessen Tod 1935 war sie politischen Anfeindungen ausgesetzt, verlor ihre Anteile an einem Verlag und musste auf Grund dieser finanziellen Einbuße Möbel und Kunstobjekte veräußern. In den beigefügten Objektlisten findet sich allerdings kein Hinweis auf die Büste des großen Kurfürsten und auch sonst keine Verbindung zu Alexander von Reitzenstein. Tatsächlich wurde Hans-Joachim Freiherr von Reitzenstein laut Wiedergutmachungsakte sogar ein „Ariernachweis“ ausgestellt, eine politische Verfolgung der Familie Reitzenstein scheint daher eher unwahrscheinlich.
Keine Hinweise auf Verfolgung
Nun besteht dennoch ein Restrisiko: So könnte Alexander Freiherr von Reitzenstein die Büste des Großen Kurfürsten doch von einer Person erworben haben, die zum Kreis der politisch oder ethnisch Verfolgten gehörte. Da sich das Objekt bereits am 16. Dezember 1933 in von Reitzensteins Besitz befand, hätte er dieses in den Monaten davor erwerben müssen. In den Unterlagen im Zentralarchiv ergibt sich eine Spur, die nach Weimar führt. Alexander von Reitzenstein schrieb, dass die Büste „Aus dem Besitz einer früher regierenden fürstlichen Familie“ stammte und Theodor Demmler merkte außerdem handschriftlich an, dass die Büste vormals im Weimarer Schloss ausgestellt war.
Ein Anfrage bei der Klassikstiftung Weimar, heute Eigentümer des Weimarer Stadtschlosses, ergab, dass sich die Büste nicht eindeutig identifizieren lässt, im Schloss allerdings sehr wohl eine größere Menge von Kunstobjekten aus dem Hause Sachsen-Weimar gelagert wurde. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass Alexander Freiherr von Reitzenstein die Büste des Großen Kurfürsten bei der Familie Sachsen-Weimar erworben oder durch familiäre Verbindungen erhalten hat. Hinweise auf ein Verfolgungsschicksal und unrechtmäßigen Entzug des Objektes konnten also nicht gefunden werden.
Das Beispiel dieser Marmorbüste aus der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin zeigt, dass Provenienzen von Kunstwerken selten komplett und lückenlos nachweisbar sind. Dokumente, die Besitzerwechsel belegen, sind oftmals nicht mehr vorhanden oder wurden vielleicht nie angefertigt und beteiligte Personen sind in vielen Fällen bereits verstorben. Die Provenienzforschung hat die Verantwortung, die Fakten so gut wie möglich zusammenzutragen, oft lassen sich daraus aber nur Wahrscheinlichkeiten und Schlussfolgerungen ableiten.
„Vis à vis. Asien trifft Europa“ beleuchtet den Austausch von Ideen, Materialien und Techniken zwischen Asien und Europa. Hier sprechen Lothar Lambacher (Kunstgewerbemuseum) und Raffael Gadebusch (Museum für Asiatische Kunst) über ihre Studioausstellung mit Kunstwerken aus Horn, Bein und Elfenbein.
Interview: Wibke Schrape
Was ist in diesem Teil der „Vis à Vis“-Reihe zu sehen? Lothar Lambacher (Kunstgewerbemuseum): Im Herzen der Mittelalterabteilung des Kunstgewerbemuseums sind vier Sondervitrinen mit Werken aus Horn, Bein, zumeist aber aus Elfenbein bestückt. Von diesen stammen 23 aus dem Sammlungsbestand des Museums für Asiatische Kunst und 13 aus dem des Kunstgewerbemuseums. Raffel Gadebusch (Museum für Asiatische Kunst): Zu sehen sind sehr interessante Objekte aus Elfenbein, von denen einige zu den Spitzenstücken der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst gehören, darunter auch Objekte, die sich bereits in der Churfürstlich Brandenburgischen Kunstkammer befanden.
Worum geht es genau? LL: Wichtig ist mir der assoziative Diskurs dieser Werke aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Die sozial geprägten Konnotationen des kostbaren Materials, die verschiedenen praktischen Funktionen der daraus gefertigten Objekte sowie die jeweiligen stilistischen Traditionen der ausführenden Kunsthandwerker haben zu faszinierend vielseitigen Ausprägungen geführt. In der unmittelbaren Gegenüberstellung jedoch zeigen sich überraschend oft subtile Verbindungen, gelegentlich auch ganz unmittelbare Parallelen und Einflüsse zwischen den Werken aus Asien und aus Europa. Hier zeigt sich gewissermaßen das ‚subkutane‘ Beziehungsgeflecht der Werke eurasischer Elfenbeinkunst. RG: Es war mir wichtig, den universalen Charakter dieses außergewöhnlichen Materials der Kunst zu zeigen. Mit Elfenbein beginnt die Kunstgeschichte. Elfenbein ist gewissermaßen ihre DNA. Formale Parallelen, aber auch Interpretationen und Eigenschaften, die dem Material von jeher zugeschrieben wurden, sind universal. Sowohl europäische als auch asiatische Künstler haben mit der Form des Stoßzahns gespielt, und der Elefant als Herrschaftssymbol hat hier wie dort interessiert. Auch die aristokratische Konnotation des Materials ist zeit- und kulturübergreifend.
Welches ist Ihr Lieblingsstück in der Ausstellung? LL: Die beiden indischen Pulverhörner und die süddeutsche Pulverflasche aus Elfenbein. Ihre grazil anmutenden Formen und die köstliche Art der Bearbeitung des edlen Materials heben die Erinnerung an ihre einstige martialische Funktion auf wunderbare Weise geradezu spielerisch leicht auf. RG: Ein moghulzeitliches Pulverhorn in Form einer im Sprung befindlichen Gazelle, das noch Reste von farblicher Fassung trägt. Dieses kleine Meisterwerk indo-islamischer Kunst ist von außergewöhnlicher Finesse. Der Künstler hat auf wunderbare Art mit der natürlichen Krümmung des Stoßzahns gespielt
Und was beschäftigt Sie sonst gerade? LL: Ich bereite eine Sonderausstellung zu unserem so genannten Giselaschmuck aus dem 11. Jahrhundert vor, die vom 8. Dezember 2017 bis 11. März 2018 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt unter dem Titel „Der Mainzer Goldschmuck – Ein Kunstkrimi aus der deutschen Kaiserzeit“ zu sehen sein wird. RG: Ich habe viele Baustellen, da ich kürzlich zum Koordinator der Asiatischen Kunstsammlungen im Humboldt Forum ernannt wurde. Das Thema Elfenbein scheint prädestiniert für den neuen, multiperspektivischen Ansatz des Humboldt Forums. Ansonsten forsche ich zur indischen Malerei und zur historischen Fotografie Asiens.
Die Sonderausstellung “Vis à vis – Asien trifft Europa” wird etappenweise eingerichtet und verändert jeweils bis zur Eröffnung am 14. Dezember 2017 den Rundgang durch das Haus. Wir begleiten den Aufbau der Ausstellung in dieser Reihe mit regelmäßigen Interviews.
Das Santa-Cruz-Boot im Ethnologischen Museum wird abgebaut. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Auch die großen Südseeboote aus dem Ethnologischen Museum treten bald die Reise zum Humboldt Forum an. Doch bis dahin liegt noch viel Arbeit vor den Fachleuten. Unsere Reporterin Karolin Korthase war vor Ort und hat Ihnen beim Abbau des Santa-Cruz-Bootes über die Schultern geschaut.
Text: Karolin Korthase, Fotos: David von Becker
Feierlich still ist es, als die Taue vorsichtig gelöst werden und das gigantische Krebsscherensegel des Santa Cruz-Bootes Maunga Nefu behutsam zur Seite gekippt wird. Der Raum ist dunkel und kühl. Ein großer Strahler erleuchtet die Szenerie und gibt der Abbauprozedur eine fast schon filmische Aura. „Ich hab’ es gleich nicht mehr“, ruft plötzlich einer der Restauratoren, der ganz oben auf dem Gerüst steht. Eine Kollegin eilt ihm zu Hilfe und das fünfköpfige Team trägt das 7,5 Meter hohe Segel, das aus geflochtenen Pandanuspalmblättern besteht, sicher auf die bereitgestellte Vorrichtung. Dort wird es dann verpackt und bis zu der Überführung ins Humboldt Forum gelagert.
Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Seit den Sechziger Jahren wurde Maunga Nefu nicht mehr auseinander- bzw. zusammengebaut. Stoisch stand das Südseeboot in seiner Einfachheit, die zugleich auch etwas Geniales hatte, in der Ausstellungshalle des Ethnologischen Museums in Dahlem und lud die Besucher zu Fantasiereisen in die unendliche Weite des pazifischen Ozeans ein. Wer das Boot betrachtete, konnte sich vorstellen, wie Männer der Santa Cruz-Insel Vanikoro den Rumpf einst aus einem einzigen Baumstamm anfertigten, wie ihnen bei Überfahrten zu benachbarten Inseln die Gischt ins Gesicht spritzte, wie sie unter dem Schutz des kleinen Palmdaches in der Mittagshitze dösten oder bei stürmischer See um ihr Leben bangten.
Körperlich anstrengend
Heute dürfen die einzelnen Teile des Bootes nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen berührt werden. Da in der Ausstellungshalle zur Zeit auch andere Objekte abgebaut werden und dabei teils mit Brandschutzmitteln belasteter Staub aufgewirbelt wird, ist das Tragen von Schutzanzügen und Staubmasken für alle Anwesenden Pflicht. Das macht die Abbauarbeiten für das Restauratoren-Team zu einer schweißtreibenden Angelegenheit – besonders das Tragen der Staubmasken über mehrere Stunden ist körperlich anstrengend.
Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Nach dem Abbau des Segels widmen sich die Holzrestauratoren dem Hausaufsatz, der fragilen Gegenbrücke und dem Ausleger. Vorsichtig durchtrennen sie mit einem Cuttermesser die Bindungen aus Rattan, die einst bei der Ankunft des Bootes im Ethnologischen Museum zum Befestigen der Bootssbestandteile angebracht wurden und die man beim Wiederaufbau im Humboldt Forum erneuern wird. Immer wieder kommt das Team zwischen den einzelnen Arbeitsschritten dabei zu kurzen Besprechungen zusammen.
Ein Restrisiko besteht immer
Alle Restauratoren, die hier am Werk sind, haben in der Vergangenheit schon mehrteilige Großobjekte aus Holz bzw. Pflanzenfasern zerlegt und wieder zusammengesetzt – sie sind Experten auf ihrem Gebiet. Der Ab- und Wiederaufbau der riesigen Südseeboote aus dem Ethnologischen Museum ist allerdings auch in ihrem Arbeitsspektrum etwas Besonderes. Denn trotz umfangreicher Vorbereitung kann nie mit hundertprozentiger Sicherheit vorhergesagt werden, wie sich die fragilen Materialien beim Auseinandernehmen verhalten, ob vielleicht ein Strang der geflochtenen Pandanuspalmblätter reißt oder ein Holzteil bricht.
Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Leonie Gärtner, zuständige Restauratorin für die Südseesammlung, erzählt, dass die Materialien aufgrund des Alterungsprozesses zum Teil schon spröde sind. „Deshalb versuchen wir, beim Zerlegen so minimal wie möglich vorzugehen, also die einzelnen Bootsbestandteile nur so weit auseinander zu bauen, dass sie unbeschadet transportiert werden können.“ Im Falle der Segel, so erklärt sie weiter, wäre beispielsweise ein Zusammenfalten undenkbar, weil dadurch das Material zu sehr beansprucht werden würde.
Letzte große Fahrt
Nach ungefähr drei Stunden stehen die einzelnen Teile von Maunga Nefu unbeschadet und sicher befestigt in einer Ecke der Ausstellungshalle. Nun müssen sie noch gereinigt, restauriert und verpackt und mit Hilfe einer Stickstoffbehandlung von potentiellen Schädlingen befreit werden. In ungefähr einem Jahr wird das Boot dann seine vorerst letzte große Fahrt antreten – nicht über das Meer, sondern nur ein paar Kilometer in Richtung Berlin-Mitte. Zusammen mit den anderen Großobjekten der Südseeausstellung gehört es zu den ersten Exponaten, die ins Humboldt-Forum einziehen werden. Erst wenn sie an ihrem Platz stehen, wird die riesige Einbringungsöffnung, die derzeit noch im Eingangsportal des Stadtschlosses klafft, geschlossen werden können.
Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Richtig aufatmen werden die Restauratoren wahrscheinlich aber erst dann, wenn wirklich alle Baumaßnahmen im Humboldt-Forum abgeschlossen sind. Denn einige Monate lang stehen die Boote noch in ihren Verpackungen im künftigen Ausstellungsraum, während rundherum weiter gebaut wird. Hier ist die größte Sorge, ob während des laufenden Baubetriebes ein stabiles Klima gewährleistet werden kann. Wenn 2019 schließlich die Verpackungen abgenommen und die einzelnen Teile wieder zusammengesetzt sind, hat Maunga Nefu seine letzte Reise endlich erfolgreich hinter sich gebracht.
Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Ab 16. Juni 2017 zeigt die Kunstbibliothek in der Ausstellung “100 beste Plakate” Plakatkunst des Jahres 2016 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir präsentieren euch mit 10 Plakaten die hohe Qualität des aktuellen Grafikdesigns noch vor Eröffnung der Ausstellung.
Was verbindet die Schweiz mit China und wie lässt sich dies darstellen? Für Erich Brechbühl (Luzern) fiel die Wahl auf das Schweizerkreuz auf rotem Grund und chinesische Schriftzeichen. Er gestaltete das Plakat “Swiss Graphic Design in China” für eine Ausstellung über aktuelle Schweizer Grafik, die in Shanghai und Hangzhou gezeigt wurde. Auftraggeber Pro Helvetia Shanghai CN Shanghai will den kulturellen Austausch zwischen der Schweiz und China stärken.
Oder: Goethes Faust visualisiert von Martin Denker und Klaudia Brawanski, KOSMOS – Büro für visuelle Kommunikation (Münster). Sie schufen ein doppelseitiges Plakat. Auf der Vorderseite zeigt es eine Cover-Visualisierung und auf der Rückseite den vollständigen Text der Tragödie “Faust” von Johann Wolfgang von Goethe.
Für die Hochschule der Künste Bern schuf Thierry Bongard (Lyss) das Plakat “Rigi”. Der Projektauftrag für Studierende lautete: Auseinandersetzung mit einem zugeteilten Plakatsujet von Anton Reckziegel und Anfertigung eines zeitgemäßen Gegenentwurfes, der die jeweilige Region aus heutiger, touristischer Perspektive in Szene setzt. Das Alpine Museum Bern zeigte ausgewählte Plakatsujets von Reckziegel gegenübergestellt mit je ein Studierenden-Entwurf zur gleichen Region in einer Ausstellung.
Bizarr mutet dieser Entwurf von Anaëlle Clot aus Lausanne, Schweiz, an, der das Festival “Le Monstre” in Genf bewirbt. Auf dem Micro-Publishing-Festival treffen sich jedes Jahr KünstlerInnen aus den Bereichen Literatur, Zeichnung und Grafikdesign treffen.
Diese Plakatserie ist im Kontext von der Veranstaltungsreihe »Beyond Welcome« produziert worden. Über bloße Werbung hinaus sind die Plakate als Diskursintervention im öffentlichen Raum konzipiert worden.
Plakat für die Oper »Weiße Rose« von Udo Zimmermann, den Tarnnamen einer Studentengruppe aufgreifend, die gegen die Nazis kämpfte, enttarnt und guillotiniert wurde.
Das Plakat “Musikmaschinen – Maschinenmusik” von berger + stadel + walsh (Basel) ist ein Teil einer Serie von drei Plakaten. Das Museum Tinguely brachte zum ersten Mal alle Meta-Harmonie-Maschinen zusammen. berger + stadel + walsh designten die identität der Ausstellung und prägten dabei den Begriff “Onomatopoeic Mimetism”. Mit spezieller Software wurde die Maschinenmusik in onomatische Töne übertragen. Die Plakate übersetzen Tinguelys Musik in rhythmischen Text, der beim Lesen im Kopf der Zuschauer abgespielt wird.
Silvan Zurbriggen (Bern), opak grafik & illustration, gestaltete dieses Plakat zum 20jährigen Jubiläum des Berner Radiosenders RaBe 95,6 MHz.
Die Reihe “100 Beste Plakate” wird vom 100 Beste Plakate e. V. ausgerichtet. Die 16. Ausgabe findet vom 16. Juni bis 2. Juli 2017 im Kulturforum statt, ab der Eröffnung werden alle 100 Plakate online vorgestellt. Nach der Auftaktausstellung in Berlin wird die Ausstellung anschließend in Essen, Nürnberg, Luzern, Wien, La Chaux-de-Fonds und Zürich zu sehen sein.
Kunsthistorische Forschung gleicht manchmal kriminalistischer Recherche, der Wissenschaftler wird zum Detektiv. Nationalgalerie-Kurator Dieter Scholz berichtet von einer Wiederentdeckung.
Text: Dieter Scholz
Ein wichtiges Werk fehlte für die Ausstellung „Rudolf Belling – Skulpturen und Architekturen“ im Hamburger Bahnhof. Im Jahr 1928/29 hatte der Berliner Bildhauer einen großen silbernen Rundschild für die Konsumgenossenschaft De Volharding in Den Haag angefertigt. Aus dem Zentrum des Schildes ragen die stilisierten Köpfe eines Mannes und einer Frau hervor, darunter finden sich drei ineinander geschlungene Ringe. Sie symbolisieren das gemeinschaftliche Ethos der damals sehr starken Arbeiterbewegung. Ein in der oberen Hälfte umlaufendes Schriftband zeigt einen Spruch der holländischen Dichterin Henriette Roland-Holst, der dafür programmatisch ist: „Oh Mann, Oh Frau, sag nicht mehr >Ich<, sag >Wir<. >Ich< schnürt die Kette fester, >Wir< macht frei.“
Rudolf Belling: Silberner Rundschild, 1928/29. Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Vor seiner Auslieferung war der Schild im Sommer 1929 im Berliner Kronprinzenpalais ausgestellt gewesen. Nun galt er in der neuesten Literatur als verschollen. Konnte das sein? Die Spurensuche begann. Als Ausgangspunkt lagen zwei historische Fotos vor: Die Außenansicht des imposanten Sitzes, den der Architekt Jan Buijs 1928 für die Kooperative mitten im Haager Zentrum errichtet hatte, und eine Innenansicht, welche Bellings Werk an einer Wand im Empfangsraum zeigt.
Eine Recherche im Internet ergab, dass De Volharding noch existiert, allerdings an einem anderen Ort, und dass in Buijs‘ Gebäude heute die Arbeitsvermittlung Randstad residiert. Doch weder der ursprüngliche Eigentümer noch der heutige Nutzer kannten den Schild Bellings oder wussten etwas über seinen Verbleib. Auch alle Anfragen beim Stadtarchiv, beim lokalen Museum und bei der Denkmalpflege blieben ergebnislos.
De Volharding bedeutet auf Deutsch „Durchhalten“, „Ausdauer“, „Beharrlichkeit“ – eine Eigenschaft, die für jede Forschung nötig ist. Da Belling zwei weitere Auftragsarbeiten für die niederländische Sozialdemokratie ausgeführt hatte, lag es nahe, eine Recherchereise durchzuführen, um sich die erhaltenen Stücke im Original anzuschauen und nach dem verschollenen zu fahnden. Vielleicht am besten erst einmal im Gebäude selbst?
Vor der Fahrt nach Den Haag ging es nach Amsterdam. Da das Volharding-Gebäude als Kulturdenkmal eingetragen ist, sollte auch die künstlerische Ausstattung der Architektur in irgendeiner Weise dokumentiert sein. Das persönliche Erscheinen in der Denkmalbehörde führte dazu, dass sich eine Mitarbeiterin beim Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed in die Akten vertiefte und dort eine Quelle fand, die besagte, dass Bellings Schild schon vor geraumer Zeit verlagert worden war. Der aktuelle Aufbewahrungsort: das Nationaal Coöperatie Museum in Schiedam, nahe Rotterdam.
Foto: Staatliche Museen zu Berlin
An der angegebenen Adresse, einer idyllischen Gracht, befand sich ein Eckladen mit dem Wort CO-OP auf den Schaufensterscheiben. Dass es sich um ein Museum handelte, war nicht sofort ersichtlich. Auf den Süßwarenladen folgten ein Wohn- und ein Arbeitsraum, und am Ende der Zimmerflucht schimmerte tatsächlich Bellings silberner Schild.
Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Hatte Bellings Werk im historischen De Volharding-Gebäude in Den Haag eine ganze Wand für sich allein gehabt, so war es im Museum in Schiedam eingezwängt zwischen Schreibtisch, Rechenmaschinen, Kontorbüchern und anderen Zeugnissen der niederländischen Genossenschaftsbewegung. Durch seine Größe und Wucht schien der Schild den Raum fast zu sprengen.
Die Suche hatte sich gelohnt, der Schatz war gefunden. Im Lauf der nächsten Monate wurde ein Leihvertrag aufgesetzt und rechtzeitig zur Eröffnung der Belling-Ausstellung kam der Schild nach Berlin. Dort nimmt er nun einen Ehrenplatz ein und beeindruckt das Publikum mit seiner Präsenz.
Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Ein Vergleich der Fotos ist interessant: Dasselbe Werk erscheint zunächst als Schmuckelement und Bedeutungsträger in einem funktionalen Kontext, es wird dann zu einem Zeugnis historischer Zusammenhänge, und schließlich in Berlin als ein vor allem künstlerisches Werk gewürdigt. Mit den Ortswechseln gehen die Verortungswechsel einher. Dies alles ist aber kein Widerspruch, der Schild ist alles zugleich. Und vor allem: Er ist da.
Das Holzmodell von Angkor Wat. Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Die historische kambodschanische Tempelanlage Angkor Wat ist eine beeindruckende Weltkulturerbestätte, die jedes Jahr tausende Besucher anlockt. Im Humboldt Forum wird ein Modell des Tempels im Maßstab 1:50 zu sehen sein. Martina Stoye, Kuratorin im Museum für Asiatische Kunst, erklärt wie es dazu kam.
Text: Martina Stoye
Ich schaue aus der Vogelperspektive auf ein Wunderwerk aus Menschenhand. Es ist der größte Sakralbau der Welt: Der kambodschanische Angkor Wat. Diese Krone der Khmer-Kunst wurde bereits im 12. Jahrhundert erbaut und ist heute ein Weltkulturerbestätte, das täglich von 5000 bis 10.000 Touristen besucht wird. Beeindruckend lang gestreckte Säulengänge bilden ein riesiges Viereck.
Diese Weite bietet ein in die Landschaft eingeschriebenes Passepartout zu einer majestätischen Tempelanlage in ihrem Herzen: Über dem zentralen Vishnu-Tempel, der zugleich den Khmer-König feierte, recken sich die Tempeltürme in aufsteigenden Ebenen dramatisch empor. Mit diesem Staatstempel setzte sich König Suryavarman II. als Oberhaupt der Khmer zur Glanzzeit des Khmerreichs ein Denkmal als Gottkönig.
Angkor Wat, Foto: Manfred Werner, 2001
Der Nabel der Welt
Die Architektur drückt den Anspruch, Nabel der Welt zu sein, augenfällig aus: Denn der Bau liegt in der Anlage wie im Mittelpunkt eines überdimensionalen Fadenkreuzes. Das heilige Zentrum zu erreichen, bedeutet für einen Fußgänger eine lange, über mehrere Ebenen aufsteigende schnurgerade Wegstrecke, auf der man verschiedene Tore zu passieren hat. Das hat etwas Höfisches. Und das ist gewollt.
Immer kürzer werdende, immer höher liegende Galerien umschließen den Gipfelpunkt, das Allerheiligste. Neun Tempeltürme, vier an den Ecken zweier Galerien, einer über dem zentralen Sanktum, wirken wie immer höher aufragende Gipfel eines gewaltigen Bergmassivs, das es zu erreichen gilt. Der Bau will mit seinem Tempelberg den Weltenberg Meru abbilden, der nach der hinduistischen Mythologie im Zentrum des Kosmos steht. Ein Hindu versteht das sofort.
Selbst als Miniatur riesig
Von meiner Warte aus kann ich die gesamte faszinierende Anlage überschauen. Doch ich bin nicht in Kambodscha, nicht im Landeanflug auf den Flughafen von Siem Reap nahe Angkor. Nein, ich stehe vielmehr in der Studiensammlung des Museums für Asiatische Kunst in Berlin und blicke auf das zauberhafte Holzmodell des Angkor Wat, das selbst als Miniaturreplik im Maßstab 1:50 riesige Ausmaße hat: Die Grundfläche hat ungefähr die Größe zweier zusammen geschobener Tischtennisplatten.
Modell der Tempelanlage Angkor Wat im Maßstab 1:50. Foto: Staatliche Museen zu Berlin / Anna Mosig
Das Modell ist aus rötlichem Tropenholz, wurde von kambodschanischen Kunsthandwerkern geschnitzt und ist gerade einmal so alt wie ein Schulkind. Und doch transportiert es so viel von der ‚Faszination Angkor‘, die ein Besuch am nunmehr über 800 Jahre alten Bauwerk in Kambodscha in so vielen Menschen auslöst. Streng genommen gehört das Modell den Berliner Museen nicht einmal. Es ist immer noch Eigentum der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, die das Modell für eine große Angkor-Schau 2007 eigens anfertigen ließ.
Aus dem Dornröschenschlaf geweckt
Die damalige Kuratorin der Ausstellung und meine Vorgängerin bei den Staatlichen Museen zu Berlin, Wibke Lobo, war auf einer vorbereitenden Südostasienreise auf dem kleinen Flughafen von Sukothai in Thailand gelandet und hatte dort, im wohl hübschesten Flughafen-Gebäude der Welt, ein solches Holzmodell von Angkor Wat gesehen, das sie sofort begeisterte. Umgehend telefonierte sie mit Ihrer Projektleiterin Susanne Annen in Bonn, die dann ein ebensolches Modell bei einer Schnitz-Werkstatt in der kambodschanischen Stadt Siem Reap in Auftrag gab.
Ausstellungsansicht des Modells in Berlin. Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Nach den Ausstellungen in Bonn, Zürich und Berlin wurde das Modell dem Ethnologischen Museum in Berlin als Dauerleihgabe übergeben und ruhte seither zerlegt in Kisten des Magazins. Nun wurde es sanft aus dem zehnjährigen Dornröschenschlaf geweckt und restauriert. Im Humboldt Forum soll es künftig als Teil einer neu entstehenden Südostasien-Abteilung präsentiert werden. Im Zusammenspiel mit den aufwändig restaurierten Gipsabgüssen der Angkor Wat Reliefs aus den Galerien des Gottkönigtempels dürfte es dann das Publikum begeistern. Denn der besonderen Faszination von Angkor kann man sich schwer entziehen, auch im fernen Berlin.
Was inspiriert Künstler? Die Begeisterung der Bauhäuslerin Anni Albers für Textilkunst der Andenregion wurde im Ethnologischen Museum entfacht. Darum ist in einer Ausstellung am Bauhaus Dessau derzeit auch ein Leihobjekt von dort zu sehen. Kuratorin Regina Bittner erklärt, was Anni Albers an den andinen Kulturen faszinierte und warum das Bauhaus sich dem Handwerk widmete.
Text: Regina Bittner
Weben wie die Peruaner: Anni Albers widmete ihr 1965 in den USA veröffentlichtes Buch „On weaving“ ihren „Great teachers, the weavers of ancient Peru“. Die Bauhausstudentin jüdischer Herkunft musste bereits 1934 Deutschland verlassen und konnte gemeinsam mit ihrem Mann Josef Albers eine neue Wirkungsstätte am Black Mountain College in den Wäldern North Carolinas finden. Von hier aus unternahm das Paar jährliche Reisen nach Mexiko und Peru, fasziniert von der künstlerischen Qualität und „Zeitlosigkeit“ der „ancient craft“.
Was Anni Albers von diesen Reisen mitbrachte, ist derzeit im Dessauer Bauhaus in den Räumen der historischen Weberei zu sehen. Die Ausstellung „Handwerk wird modern. Vom Herstellen am Bauhaus“ stellt erstmalig jene textilen Fragmente, die Anni Albers auf ihren Reisen gesammelt hat in den Dialog mit ihrem 1927 gewebten Wandbehang „Schwarz Weiss Grau“ und einem Männerhemd Huari aus Peru aus dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Ein Gespräch zwischen Stoffen, deren Herstellung und Formgebung nicht nur über Kontinente und Jahrtausende hinaus reicht, sondern auch geistige Verwandtschaften knüpft.
Imaginäre Reisen im Völkerkundemusem
Man mag die Begeisterung der Albers für die andine Webkunst Südamerikas als Ausweis der unter dem Konzept des „Primitivismus“ zusammengefassten kulturellen Bezugnahmen und Projektionen westlicher Avantgarden auf außereuropäische Kulturen zu Beginn des 20.Jahrhunderts einordnen. Bereits um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert war der Weltverkehr in Fahrt gekommen: Kolonialismus und Welthandel, moderne Transport-und Kommunikationstechnologien hatten auch zu einer Verbreitung kultureller Artefakte rund um den Globus beigetragen. Museen, Sammlungen und Großausstellungen wurden zu Displays dieses kulturellen Welthandelns. Vor allem die Völkerkundemuseen boten imaginäre Reisen in außereuropäische Regionen.
Was die westlichen Künstler und Intellektuellen in den „Tropen“ Ethnologischer Sammlungen suchten, war kulturelle Orientierung und sinnliche Inspiration angesichts einer durch Industrialisierung und Rationalisierung als „entseelt“ empfundenen Gegenwart. Was die Debatten, Bewegungen und Positionen zur kulturellen Erneuerung um die Jahrhundertwende einte, war die Entdeckung der Abstraktion in „primitiven“ kulturellen Artefakten – Textilien, Keramiken, Kleinplastiken – die in ihrer abstrakten Formensprache zeitlose Gültigkeit künstlerischer Expressivität versprachen. Wilhelm Worringers Kunsttheorie verband schließlich mit der Abstraktion die Hoffnung, die Kunst fände so zu ihrer geistigen Grundlage zurück und bezog sich in seiner Argumentation explizit auf „primitive“ Kulturen.
Und schließlich schien in den Augen der westlichen Betrachter die in den Objekten außereuropäischer Kulturen sichtbare organische Einheit von handwerklichem Herstellen und künstlerischem Ausdruck an das zu erinnern, was man in der eigenen materiellen Kultur seit der Industrialisierung verloren hatte und worum sich Reformbewegungen von Arts&Craft über Jugendstil bis zu Werkbund und Bauhaus bemühten. Nicht umsonst gehörten Ausstellungen von Kollektionen andiner Artefakte in Korrespondenz mit den Werken der Avantgarde zum Programm der Kunst- und Kulturakteure der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.
Das Berliner Museum für Völkerkunde, 1873 gegründet, hatte sich schon früh auf die Sammlung textiler Artefakte aus der Andenregion spezialisiert. Neben Erwerbungen waren es eine Reihe von archäologischen Entdeckungen um die Jahrhundertwende, die das Museum zu einem Anziehungspunkt internationaler Künstler und Intellektueller werden ließ. Die Ausgrabungen in Ancon durch Wilhelm Reiss und Alphons Stübel und deren nachfolgende Veröffentlichungen gehörten ebenso zur Bibliothek der Bauhäusler wie die „Kunstgeschichte des alten Peru“ von Walter Lehmann. Anni Albers hatte schon vor ihrer Bauhaus-Zeit als Berlinerin mehrfach die Sammlungen des Museums für Völkerkunde besichtigt und befand sich dabei in bester Gesellschaft mit Künstlern wie Paul Klee, August Macke oder Wassily Kandinsky.
Zurück zum Material
Als sie 1923 ans Bauhaus Weimar kam, hatte in Programm und Curriculum der Hochschule bereits ein Wandel eingesetzt. Ihr 1924 veröffentlichtes Essay über die Bauhausweberei in der Zeitschrift „Junge Menschen. Monatsheft für Politik, Kunst und Literatur“ liest sich wie eine Positionsbestimmung der Textilwerkstatt: Albers sieht die Arbeit der Weberei als in „Alter Kultur“ verwurzelt und stellt die Bedeutung des direkten Kontakts des Handwerks mit dem Material heraus.
Kritisch beobachtet sie die zunehmende Arbeitsteilung innerhalb der Textilindustrie zwischen Gestaltung und Handwerk: „Heute steht der Weber nur in loser Verbindung mit dem Webstuhl. Er hat nur mechanische Handgriffe zu leisten. Der Stoff entsteht unabhängig vom Weber.“ Der Musterzeichner, der als „isolierter Intellektueller“ ohne Kontakt zur Praxis agiere, habe die eigentliche gestaltende Arbeit des Webers übernommen. Ziel der Bauhauswerkstatt sei es, „den allgemeinen Kontakt mit dem Material wiederherzustellen. […] Die Arbeit muss heute experimentell sein. Wir müssen handwerkliche und technische Möglichkeiten neu durchdringen. Das macht Hand-Arbeit möglich […] Wir können dann Industrie, das mechanische Handwerk begreifen und für sie arbeiten weil wir sie wesentlich erfassen.“
Die Rückkehr zum Material wird dabei nicht als Gegenentwurf, sondern geradezu als Bedingung für den Zugang zur Textilindustrie verstanden. Wenn die Mechanisierung die Entfremdung vom Material befördert habe, so müsse es die Aufgabe der modernen Bauhausweberei sein, auf diese technische Welt durch experimentelle Arbeit am Handwebstuhl mit neuen Materialen und gestalterischen Beiträgen zu reagieren.
Ausstellung „Handwerk wird modern. Vom Herstellen am Bauhaus“, Bauhausgebäude Dessau, 2017 / Stiftung Bauhaus Dessau, Foto: Thomas Meyer/ OSTKREUZ
Textilkunst als Ausdrucksform der modernen Gesellschaft
Im Kontrast zu den Anfängen der Weberei am Bauhaus war Anni Albers nicht am Borgen von Motiven der „primitiven“ Vorbilder interessiert: Vielmehr zielte „wesentliches Erfassen“ auf das Begreifen der Eigenheiten und der Struktur des Webens. Inspirationen für ein solches Verfahren bezog die Bauhauslerin aus Paul Klees „konstruktiven Systemen“ und ihrem Verständnis andiner Textilien: Denn wie Albers in ihren späteren Publikationen wie „On weaving“ herausstellt: Textilien in den andinen Kulturen waren ein Kommunikationsmedium. Der enorme Reichtum an Piktogrammen und Ideogrammen verweist auf die Rolle der Webkunst in Gesellschaften, die noch keine Schrift kannten. Textilien hatten neben der mündlichen Kommunikation eine wichtige Funktion für die Bewahrung und Vermittlung von Informationen, gemeinschaftlichen Normen und Orientierungen. Und aufgrund ihrer zentralen Stellung innerhalb der andinen Kulturen war das Weben eine gemeinschaftliche Tätigkeit.
Für Anni Albers öffnete sich hier eine Perspektive der Neubestimmung der Webkunst in der Moderne: „wesentlich erfassen“ meinte vor allem, Textilkunst aus dem Korsett europäischer Traditionen und Konventionen der angewandten Kunst bzw. des Kunstgewerbes zu befreien. Die andinen Weberinnen hatten eine zentrale Stellung innerhalb ihrer Gesellschaft. In Europa hingegen war die Textilkunst mehr und mehr zu einem Nachweben nach Vorlagen der bildenden Kunst geworden – eine nachgeordnete angewandte Gattung im Schatten der freien Künste. Anni Albers stand der europäischen Tradition kritisch gegenüber und entdeckte in den andinen Webkulturen ein Potenzial der Neubestimmung der Textilkunst als Kommunikationsmedium und Ausdrucksform der modernen Gesellschaft.
Das Machen und Denken im Stofflichen überwindet Grenzziehungen
Insofern erlaubt das Kollabieren von Zeit und Raum beim Zusammentreffen der stofflichen Artefakte in der Dessauer Ausstellung nicht nur Einsichten in die materialen und formalen Verstrickungen zwischen den Textilentwürfen am Bauhaus und seinen präkolumbischen Vorbildern – sondern ist auch eine Einladung zur Neubewertung kultureller Stoffproduktion. Denn warum erfährt gerade im 21. Jahrhundert angesichts der Verfügbarkeit enormer technologischer Innovationen das Stricken, Weben und Nähen eine solche Renaissance? Digitalisierung, erschöpfte materielle Ressourcen und eine nahezu vollständig vom Menschen gemachte Umwelt haben ein erneutes Interesse an Handgemachten, an traditionellen Herstellungsmethoden und neuen Modellen kleinmaßstäblicher Produktion evoziert. Sarah Ouhaddou aus Marokko stellt im zeitgenössischen Teil der Ausstellung in Dessau ihre Arbeit mit jungen Stickerinnen vor, die die prunkvolle traditionelle Tetouan Stickerei noch beherrschen und gemeinsam mit der Künstlerin weiterentwickeln. Es ist ein Projekt, das den Faden zu lokalen Handwerkstraditionen in die globalisierte Gegenwart einwebt: nicht als folkloristische Repräsentation sondern als lebendige dynamische Kultur einer Gemeinschaft.
So entsteht in der scheinbar unmöglichen Zusammenschau marokkanischer Seidenstickereien des 21. Jahrhunderts mit den Bauhaustextilien Anni Albers von 1927 und dem 1500 Jahre alten Männerhemd Huari aus Peru ein Zeit und Raum transzendierender Dialog über das Machen und Denken im Stofflichen, als einem besonderen Medium, das die tradierten Grenzziehungen zwischen Mensch und Ding, Subjekt und Objekt zu überwinden erlaubt.
Liebe auf den zweiten Blick verbindet Friederike Grosinksi vom Ägyptischen Museum und Papyrussammlung mit einer Würfelfigur des altägyptischen Baumeisters Senenmut. Zunächst fand sie die Figur nämlich gar nicht interessant – bis sie sich an eine Reise erinnerte …
Text und Fotos: Friederike Grosinksi
Mumien, Statuen, Töpfe, Schmuck, Spielzeug – über 1000 Objekte stehen in der Ägyptischen Abteilung im Neuen Museum jeden Morgen bereit, um von Besuchern aus aller Welt bestaunt zu werden. Über 1000 Objekte: Eine Zahl, bei der ich mir lange nicht vorstellen konnte, genau DAS eine Lieblingsobjekt zu haben. Und doch, ich habe es gefunden, auch wenn es nicht Liebe auf den ersten Blick war.
Als Freiwillige soziale Mitarbeiterin im Ägyptischen Museum und der Papyrussammlung kam ich in den letzten zehn Monaten in Kontakt mit unterschiedlichsten Objekten der Sammlung. Neben der Arbeit an Grabungstagebüchern und der Datenbank der Sammlung, sowie der Hilfe bei Bestandsaufnahmen, hatte ich zu Beginn des Jahres die Möglichkeit, eine Vitrine umzugestalten. Das Thema dieser Vitrine war „Hatschepsut“ – eine der bedeutendsten Pharaoninnen ihrer Zeit, die auch für ihre Tempelanlage „Deir el-Bahari“ bekannt ist. In diesem Zusammenhang stieß ich auf die Würfelfigur von Hatschepsuts Baumeister Senenmut mit der Prinzessin Nefrura, der Tochter von Hatschepsut.
Alte Bekannte
Zunächst sah die Statue nur wie ein viereckiger Stein mit zwei unterschiedlich großen Köpfen darauf aus. Ich entschuldige mich vorab bei allen Ägyptologen, aber wirklich interessant wirkte die Statue auf mich erst einmal nicht. Dass ich sie nun mein Lieblingsobjekt nenne, hat weder etwas mit ihrer Herstellungsart, noch mit besonderen Inschriften zu tun, sondern vielmehr mit unserer persönlichen Geschichte. Mir fiel nämlich auf, dass ich dem Herrn Senenmut schon einmal begegnet war.
Während meiner Abiturzeit konnte ich an einer Kursfahrt nach Luxor teilnehmen. Dort besuchten wir den Tempel der Hatschepsut: Deir el-Bahari. Ein unglaublich schönes und beindruckendes Gebäude. Als ich nun, fast zwei Jahre später, an der Gestaltung der Vitrinen mit Originalobjekten aus Deir el-Bahari arbeitete, realisierte ich, dass ich diesen Tempel tatsächlich schon einmal mit eigenen Augen gesehen hatte. Ich recherchierte viel über die Königin Hatschepsut und ihren Baumeister Senenmut. Sie müssen ein sehr enges Verhältnis gehabt haben, obwohl er eines Tages einfach aus den Erzählungen verschwindet.
Geborgenheit und Schutz vor 3000 Jahren
Was passiert ist? Das konnte ich nicht herausfinden. Es ist aber sicher, dass Senemut für Hatschepsut den Tempel Deir el-Bahari entwarf und bauen ließ. Vielleicht war er stolz auf sein Werk oder er wollte sich einfach nur verewigen, auf jeden Fall ließ er sich selbst über 50 Mal in Inschriften und Zeichnungen im Tempel abbilden. Auch zu Hatschepsuts Tochter Nefrura muss er ein sehr enges Verhältnis gehabt haben, denn er war nicht nur Baumeister sondern auch königlicher Erzieher. Und die Würfelfigur zeigt genau diese beiden Personen zusammen: Senenmut und Nefrura.
Es ist nicht genau zu erkennen, wie Senenmut sitzt, aber ich habe mir immer vorgestellt, dass er seine Beine angewinkelt hat und Nefrura dazwischen sitzt. Die Art, wie er seinen Mantel über seine Knie spannt, erinnerte mich daran, wie ich es früher manchmal mit zu großen T-Shirts gemacht habe. Vielleicht ist mir dieses Bildnis dadurch so sympathisch geworden. Gleichzeitig strahlt es Geborgenheit und Schutz aus: das Kind das in dem Schoß des Erwachsenen sitzt. Obwohl die Statue vor mehr als 3000 Jahren entstand, zeigt es die gleiche Art an Zuneigung und Liebe, die wir auch heute noch verstehen.
Innige Beziehung
Auf der anderen Seite wirken beide Personen auch durch ihre Mimik und die Augen sehr vertraut. Senenmut wirkt ernst und stark, während sich Nefrura ihrer besonderen Position im Schutz eines Erwachsenen durchaus bewusst zu sein scheint. Auch wenn ich die genaue Bedeutung der Würfelfigur nicht kenne, ist die innige Beziehung beider Personen gut erkennbar. Vielleicht auch durch die schützenden Arme Senenmuts vor Nefrura.
Ich muss zugeben, dass ich diese Statue zunächst nicht besonders schön fand. Sie ist nicht reich verziert oder vergoldet und hat auf den ersten Blick nichts Spektakuläres an sich. Doch habe ich sie durch meine Recherche zu den Personen, durch deren Ruhe und Geborgenheit und durch die Tatsache, dass ich Senenmuts wichtigstes Bauwerk schon einmal sehen durfte, sehr lieb gewonnen.
„Vis à vis. Asien trifft Europa“ beleuchtet den Austausch von Ideen, Materialien und Techniken zwischen Asien und Europa. Hier sprechen Claudia Kanowski (Kunstgewerbemuseum) und Uta Rahman-Steinert (Museum für Asiatische Kunst) über ihre Studioausstellung zu Ostasien und Art Nouveau.
Interview: Wibke Schrape
Was ist in diesem Teil der „Vis à vis“-Reihe zu sehen? Claudia Kanowski (Kunstgewerbemuseum): In diesem Teil der Reihe treffen europäische Keramiken des Jugendstils oder Art Nouveau auf Gefäße aus China, Japan und Korea. Uta Rahman-Steinert (Museum für Asiatische Kunst): Aus der reichen Keramiksammlung im Museum für Asiatische Kunst haben wir Gefäße ausgewählt, deren Formen die Keramikkünstler des Jugendstils inspiriert haben könnten.
Worum geht es genau? CK: Obwohl teilweise Jahrhunderte zwischen den Exponaten liegen, gibt es überraschende gestalterische Parallelen. So haben wir ein schönes Ensemble aus Vasen in Flaschenkürbisform gebildet. Oder Vasen mit blutroten Laufglasuren, den sogenannten Ochsenblutglasuren. Auf den ersten Blick fällt es schwer zu sagen, welche Keramik nun die westliche und welche die ostasiatische ist. Zu sehen gibt es auch wunderbare Impressionen aus Flora und Fauna, mit denen die Vasen, Teller und Kannen bemalt wurden. Im Jugendstil ließ man sich von ostasiatischen Vorbildern zu neuen Formen und Dekoren inspirieren. Eine Keramik wurde genauso als freies Kunstobjekt eingestuft wie ein Gemälde oder eine Skulptur. Auch hierin werden ostasiatische Kunstvorstellungen reflektiert. Von dieser Wertschätzung der angewandten Kunst erzählen die Gefäße, die wir in der Vitrine zum Thema „Nobilitierung“ zusammengestellt haben. Generell wirken die zum Teil sehr alten chinesischen Keramiken – die ältesten datieren aus dem 4. Jahrhundert – im Nebeneinander mit den westlichen Arbeiten bis heute modern und zeitlos. URS: So wichtig die Inspiration war, die Künstler des Art Nouveau aus der ostasiatischen Kunst bezogen, so wenig spiegelt sich der Japonismus, die Mode des späten 19. Jahrhunderts, in der Sammlung unseres Museums. Japanische, aber auch chinesische Werkstätten jener Zeit produzierten für die Bedürfnisse des westlichen Marktes; in Ostasien selbst wurden diese Erzeugnisse des Kunstgewerbes hingegen nicht besonders geschätzt. Daher gelangten sie auch nicht in die damalige Ostasiatische Kunstsammlung, weil diese die hohe Kunst Ostasien und die dortigen Sammeltraditionen spiegeln sollte. Die Herausforderung für uns war es, Objekte auszuwählen, die zeigen, was die Jugendstilkünstler faszinierte. Letztendlich sind bestimmte Gestaltungsprinzipien ja seit Jahrhunderten charakteristisch.
Welches ist Ihr Lieblingsstück in der Ausstellung? CK: Sehr schön finde ich ein Dialogpaar in der Vitrine, die sich der plastischen Gestaltung widmet. Den westlichen Dialogpartner bildet eine Vase mit Putto und Meereswellen, die 1898 in der französischen Manufaktur von Edmond de Lachenal entstanden ist und von der in Paris lebenden Schwedin Agnès Kjellberg de Frumerie entworfen wurde. Der Putto blickt sehr verträumt und zärtlich auf sein chinesisches Pendant: ein Räuchergefäß aus dem 11. Jahrhundert mit fünf muskulösen Ringern. Beide Arbeiten wirken wie keramische Skulpturen und sind mit reizvollen jadefarbenen Seladonglasuren versehen. Sie scheinen selbst von ihren neuen Nachbarn überrascht zu sein und nehmen nun den Dialog auf … URS: Ich habe kein Lieblingsstück, sondern ein Lieblings-Vis à vis. Einige der Arrangements erzählen geradezu kleine Geschichten. Der plastisch gearbeitete Salamander auf einem Zierteller von Alexandre Bigot interagiert mit einer Kröte, die einem chinesischen Wassergefäß aus dem 4. Jahrhundert seine Gestalt verleiht. Ich kann mir vorstellen, dass es die Besucher überrascht, dass dieses Gefäß nahezu 1700 Jahre alt ist.
Und was beschäftigt Sie sonst gerade? CK: Ich bin mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt, unter anderem mit einer Neuerwerbung: dem Tafelensemble „Bestiarium“, einer zeitgenössischen Arbeit der Porzellankünstlerin Maria Volokhova und des Designbüros SHAPES iN PLAY von Johanna Spath und Johannes Tsopanides. Seit längerem stehe ich in Kontakt mit den beiden Künstlerinnen, die auch bei der Langen Nacht der Museen am 19. August einen Programmpunkt im Kunstgewerbemuseum bestreiten werden. Auch zwischen „Bestiarium“ und den reichen musealen Beständen ergeben sich viele assoziative Dialoge über die Jahrhunderte hinweg, zum Beispiel bei der Tradition der Schaugefäße und des skulpturalen Tafelschmucks. Wenn sich solche Bezüge in die Gegenwart fortsetzen, finde ich das besonders spannend. URS: Mich beschäftigen die Beschriftungen für die Objekte, die wir in der Erstpräsentation im Humboldt Forum zeigen werden. In diesem Zusammenhang denke ich auch darüber nach, wie Inhalte, die wir vermitteln wollen, dem Publikum auf interessante Weise aufbereitet werden können. Mein eigentliches Fachgebiet ist allerdings die moderne chinesische Malerei und sehr gern möchte ich mich viel intensiver diesem Sammlungsbestand widmen. Momentan konzipiere ich außerdem eine kleine Ausstellung, die im kommenden Jahr in der Hegenbarth Sammlung Berlin gezeigt wird und die zum ersten Mal beleuchtet, dass auch Josef Hegenbarth Anregungen aus Ostasien bezog.
Die Sonderausstellung “Vis à vis – Asien trifft Europa” wird etappenweise eingerichtet und verändert jeweils bis zur Eröffnung am 14. Dezember 2017 den Rundgang durch das Haus. Wir begleiten den Aufbau der Ausstellung in dieser Reihe mit regelmäßigen Interviews.
Ein plüschiger Neuzugang hält derzeit das Pergamonmuseum auf Trab: Labbu, der Löwe aus Babylon. Doch woher stammen die babylonischen Löwen und welche Bedeutung hatten sie? Helen Gries, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Vorderasiatischen Museum, kennt die Ursprünge.
Text: Helen Gries
Löwen waren bereits in der Antike der Inbegriff von Stärke und Macht. Im alten Mesopotamien waren sie ein Symbol der Könige und haben die wichtigsten Götter begleitet – so auch die launische Ischtar, Göttin der Sexualität und des Krieges. Auf der berühmten Prozessionsstraße des babylonischen Ischtar-Tempels, die Menschen aus aller Welt heute im Pergamonmuseum bewundern können, sind daher auch zahlreiche Löwen abgebildet. Im Alten Orient wurde der Löwe übrigens „Labbu“ genannt. Über das Griechische stammt unser heutiges Wort „Löwe“ von diesem akkadischen Begriff ab.
Der babylonische König Nebukadnezar II. ließ im 6. Jahrhundert vor Christus die prachtvolle Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor von Babylon bauen. Die Prozessionsstraße führte vom im Stadtgebiet gelegenen Ischtar-Tempel zum Ischtar-Tor. Die Wände der Straße waren mit farbig glasierten Ziegeln verziert, auf denen die fast lebensgroßen Löwen der Göttin Ischtar abgebildet waren. Auf dem Ischtar-Tor hingegen sind Drachen und Stiere dargestellt, die Marduk, den Stadtgott von Babylon sowie Adad, den Wettergott, repräsentieren. Im gleißenden Sonnenlicht Mesopotamiens müssen die funkelnden Glasurziegel einen atemberaubenden Kontrast zur braunen Lehmziegelarchitektur ihrer Umgebung gebildet haben. Jeden Besucher Babylons muss dieses Farbspiel sofort in seinen Bann gezogen haben.
Eine antike Meisterleistung
Die einzelnen Löwen der Prozessionsstraße bestehen jeweils aus 47 unterschiedlichen Ziegeln, die zu einem Tier zusammengesetzt waren. Die Löwen wurden aber nicht nur auf die Ziegel gemalt, sondern sind auch plastisch ausgeformt worden. Hierzu wurde der weiche Ton der Ziegel vor dem Brennen in eine spezielle Form gedrückt. Danach wurden die modellierten Ziegel in kräftigen Farben glasiert. Damit die einzelnen Tierfiguren korrekt zusammensetzt werden konnten, waren auf der Oberseite der Ziegel kleine Markierungen angebracht. Sie gaben die Reihe und Lage des jeweiligen Ziegels in der Mauer an. Die Herstellung und der Aufbau dieser monumentalen Glasurziegelfassaden war eine technische und handwerkliche Meisterleistung.
Im Jahr 1899, ganz zu Beginn der Grabungen in Babylon im heutigen Irak, fielen den Ausgräbern die leuchtenden blauen Glasurziegel auf. Doch anstelle prächtiger, bunter Fassaden fanden sie tausende kleine glasierte Ziegelfragmente. Zahlreiche dieser unscheinbaren Bruchstücke gelangten im Rahmen einer Fundteilung mit dem Osmanischen Reich ab 1903 und mit der irakischen Antikendirektion im Jahr 1927 nach Berlin. Dort wurden tausende Fragmente gereinigt, in großen, mit Wasser gefüllten Holzfässern entsalzt, anschließend getrocknet und nach Farben und Formen sortiert. Die einzelnen Tiere der Prozessionsstraße und des Ischtar-Tores wurden danach in mehrjähriger mühevoller Arbeit wie ein riesiges Puzzle wieder zusammengesetzt und zur Eröffnung des Museums im Jahr 1930 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Von den ursprünglich 120 Löwen der Prozessionsstraße sind heute 30 im Pergamonmuseum ausgestellt.
Neben diesen 30 Löwen findet man im Museum nun einen weiteren Artgenossen: Den Löwe Labbu – ein Plüschtier der Firma Steiff. Von dem anmutigen Gang des Tieres bis hin zur Mähne ist Labbu den ausgestellten Löwen der Prozessionsstraße nachempfunden. Das Stofftier ist ab sofort im Webshop der Staatlichen Museen zu Berlin und in der Buchhandlung Walter König im Pergamonmuseum erhältlich.
Geo Ham, Impression des Pavillons der Luftfahrt, Aquarell in L’Illustration, Sonderausgabe August 1937
Erstmals seit 80 Jahren sind die beiden Hälften von Jean Fouquets berühmten “Diptychon von Melun” (15. Jh.) gemeinsam in der Gemäldegalerie zu sehen. Die letzte Begegnung fand unter bedeutungsschweren historischen Umständen statt.
Text von Katrin Dyballa
Irgendwann zwischen 1452 und 1460 schuf der französische Maler Jean Fouquet das einzigartige „Diptychon von Melun“ für den königlichen Schatzmeister Étienne Chevalier. Dieser hatte es für seine Grabkapelle in der Stiftskirche von Melun vorgesehen, wo es sich bis um das Jahr 1773 noch befand, bevor es in Einzelteile zerlegt und verkauft wurde. Erhalten geblieben sind aus dem Ensemble zwei Gemälde und ein Medaillon mit dem Selbstbildnis Fouquets.
Dunkle Vorahnungen in der “Stadt des Lichts”
Vor 80 Jahren waren die beiden Bilder von Fouquets Diptychon das letzte Mal zusammen zu sehen. Die Weltausstellung in Paris versammelte vom 25. Mai bis zum 25. November 1937, zwei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, die Nationen im Zeichen des Friedens und brachte zahlreiche Kulturschätze in die Stadt. Mit den vielen ephemeren Bauten war Paris während dieser Zeit nicht nur tagsüber von ganz anderer Prägung: Nachts wurde das Gelände durch die beleuchteten Ausstellungspavillons zur „cité lumière“, zur Stadt des Lichts (Abb. 1). Insgesamt beteiligten sich 44 Nationen, um ihre Errungenschaften in Kultur und Technik einem Publikum von 31 Millionen Menschen vorzustellen.
Frankreich bespielte jedoch den größten Teil der Ausstellungshallen, die den Themen Kunst und Technik als zwei Seiten der menschlichen Kultur gewidmet waren. Dabei sollten – wie auch bei allen vorausgegangenen Weltausstellungen – Frieden und Völkerverständigung im Vordergrund stehen. Doch war diese Ausstellung, vielleicht mehr als alle anderen, vor allem durch die Nationalismen der einzelnen Länder geprägt. Die Weltausstellung war Kristallisationspunkt für die politischen Umbrüche und Konflikte in Europa.
Postkarte der Pariser Weltausstellung mit dem Deutschen Haus und dem sowjetischen Pavillon
Kräftemessen der Ideologien
Attraktionen gab es viele, doch stachen der deutsche und der sowjetische Pavillon von Albert Speer und Boris Michailowitsch Iofan besonders hervor und wurden als die Sensationen wahrgenommen (Abb. 2), ähnlich wie 1889 der Eiffelturm oder 1900 das Japanische Haus. Am Nordufer der Seine einander gegenübergestellt, spiegelten sich in diesen gewaltigen Turmbauten das politische Kräftemessen und die gegensätzlichen Staatsideologien wider.
Dem Drängen und Stürmen der 25 Meter großen Monumentalskulpturen von Vera Muchina, einem bewegt vorwärtsschreitenden jungen Paar mit Hammer und Sichel in den erhobenen Händen, schien das noch höhere deutsche Haus mit seinem Bronzeadler von Kurt Schmid-Ehmen wie ein in sich ruhender Solitär entgegen zu stehen. Diese Wirkung hatte Albert Speer tatsächlich beabsichtigt, wie er später in seinen Erinnerungen äußerte: Er habe seinen Entwurf für das deutsche Haus ganz bewusst als Gegenstück zu dem sowjetischen Bau konzipiert, da ihm bekannt gewesen sei, dass beide Pavillons einander gegenüber stehen würden und er „zufällig“ den sowjetischen Entwurf gesehen habe und entsprechend darauf reagieren konnte.
Die dominante, konkurrierende Selbstdarstellung dieser beiden Staaten wurde freilich sehr bewusst wahrgenommen. Christian Zervos, Herausgeber der Pablo Picasso nahestehenden Kunst- und Literaturzeitschrift Cahiers d’Art, kritisierte das deutsche ideologische Kunstschaffen auf das Schärfste und sah darin den Niedergang aller Ästhetik. Walter Benjamin fasste in seiner Auseinandersetzung mit dem Faschismus die politische Instrumentalisierung der Kunst, die in Paris 1937 so greifbar wurde, mit folgenden Worten zusammen: „Die Selbstentfremdung [der Menschheit] hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.“
Eingangshalle des spanischen Pavillons mit Pablo Picassos Guernica und Alexander Calders Quecksilberbrunnen, Seite aus den Cahiers d’Art 12, 1937, S. 289
Barbarei abseits der Weltausstellung
Das totalitäre Regime des Nationalsozialismus hatte sich bereits bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 betont friedensorientiert und weltoffen gegeben und tat dies nun auch auf der Weltausstellung. Doch handelte Deutschland schon längst gegenteilig, etwa indem es Francisco Franco unterstützte. Bissig wurde dies mit einem Kommentar auf den deutschen Pavillon in der deutschsprachigen Pariser Tageszeitung, dem Organ der Exilanten, kommentiert: „Deutschland will exportieren – warum zeigt es nicht seinen Hauptexportartikel nach Spanien: Brandbomben für das Baskenland.“
Die unterschiedlichen Weltanschauungen – Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus, Demokratie – trafen im Sommer 1937 am Trocadéro auf engstem Raum aufeinander und kulminierten in Pablo Picassos großformatigem Gemälde Guernica, das im spanischen Pavillon und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zum deutschen Haus ausgestellt war und wohl zum beständigsten Erbe der Weltausstellung zählt (Abb. 3).
Das Bild, eine Antwort des Künstlers auf den spanischen Bürgerkrieg und die Zerstörung der Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor im April 1937, kommentierte Picasso mit den Worten: „Es ist mein Wunsch, Sie daran zu erinnern, dass ich stets davon überzeugt war und noch immer davon überzeugt bin, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“ Besondere Bedeutung hatte dieses Werk, da es das menschliche Leid im spanischen Bürgerkrieg veranschaulichte, das der Maxime der Weltausstellung, die „Völker im Zeichen des Friedens zusammenzuführen“, diametral entgegenstand.
Warum Fouquet auf der Weltausstellung?
Doch was hatte das Melun-Diptychon auf diese ideologisch aufgeladene Weltausstellung verloren? In dem neu erbauten französischen Palais de Tokio von Jean Claude Dondel und Alfred Aubert sollte die französische Moderne präsentiert werden, um das Augenmerk auch auf die eigene Kunstproduktion zu lenken. Dies mag auf den ersten Blick nicht bemerkenswert erscheinen. Doch traten nun erstmals Staat und Stadt für die neue Kunst und damit auch für eine Identifizierung mit dieser ein: Der Palais de Tokio sollte über die Weltausstellung hinaus das erste Museum für Moderne Kunst in Frankreich werden. Der französische Maler Amédée Ozenfant war begeistert: „Man wird in Frankreich französische (zeitgenössische) Malerei sehen! Das wird etwas total Neues.“
Plakatmotiv für die Ausstellung „Chefs-d’Œuvre de l’Art français“
Doch es wurde schnell klar, dass die neuen Kunstströmungen nicht isoliert betrachtet werden konnten. Die Ursprünge seien zu ihrem Verständnis notwendig, wie Premierminister Léon Blum in seinem Vorwort für den Gesamtkatalog der Ausstellung formulierte: „Um die zeitgenössischen Schöpfungen verstehen und ganz genießen zu können, reicht es nicht, sie in das Umfeld zu bringen, in dem sie entstanden sind. Man muss sie vielmehr mit früheren Werken verbinden. Man muss sie als das Ergebnis einer langen Folge von Leistungen begreifen, die im Laufe von Jahrhunderten von Männern vollbracht wurden, die gerungen haben, um das Material zu beherrschen, um einen anschaulichen Ausdruck des Lebens zu finden, die Schönheit der Linie und die harmonische Sprachgewalt der Farbe.“
So wurde Ende des Jahres 1936 der Entschluss gefasst, im Palais de Tokio die Chefs-dʼœuvre de lʼArt français zu zeigen, eine Schau französischer Kunst von ihren Anfängen bis um 1900. Für diese spektakuläre Ausstellung konnten in Rekordzeit tatsächlich 1341 Werke nahezu aller Epochen und Gattungen versammeln werden. Geworben wurde für die Ausstellung mit einem Plakatmotiv, das immer noch die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zieht – oszilliert es doch zwischen mittelalterlicher Frömmigkeit und Erotik: Jean Fouquets Madonna aus Antwerpen, das Pendant zum Berliner Etienne Chevalier (Abb. 4).
Ikone der französischen Kunst
Das Motiv dieser Madonna dürfte aber nicht nur aufgrund seiner provozierenden Außergewöhnlichkeit gewählt worden sein. Hinter der plakativ präsentierten Brust der Muttergottes, verbirgt sich vermutlich ein Porträt der Agnès Sorel, Mätresse König Karls VII. In Jean Fouquet sah man auch den Begründer der realistischen französischen Malerei, auf den Clouet und Corneille de Lyon gefolgt seien. Der französische Kunsthistoriker Germain Bazin erhob Fouquet sogar zur Ikone der französischen Kunst: „ Jean Fouquet verleiht der französischen Ästhetik eine der unverfälschtesten Definitionen.“
In seinen Ausführungen bezog sich Germain dabei ausdrücklich auf die Vierge aus Antwerpen, die durch die Vereinfachung der Formen an den Rand der Abstraktion herangeführt sei und als eines der „chef-dʼœuvre de lʼart français“ überhaupt bezeichnet werden könne. Er sah in ihr gleichsam die französische Seele und den absoluten Ausdruck der Gotik verkörpert und verglich sie aufgrund ihrer Reinheit mit Werken der französischen Glasmalerei des 13. Jahrhunderts. Im Rahmen der Pariser Weltausstellung von 1937, die gerade für Frankreich die Möglichkeit war, die Nation umfassend zu repräsentieren, konnte Jean Fouquet als Vater der französischen Malerei gefeiert werden.
Geo Ham, Impression des Pavillons der Luftfahrt, Aquarell in L’Illustration, Sonderausgabe August 1937
Beide Teile des Diptychons des Étienne Chevalier sind derzeit in der Ausstellung “Jean Fouquet. Das Diptychon von Melun” in der Gemäldegalerie zu sehen.
Was haben eine Marienskulptur und eine Kraftfigur aus dem Kongo gemeinsam? In der neuen Ausstellung im Bode-Museum begegnen afrikanische Kunstwerke europäischen Bildwerken – und offenbaren überraschende Parallelen.
Text von Elisabeth Mortier
Er liegt in seiner Kiste wie in einem Sarg – mit weit aufgerissenen Augen, der Körper mit Nägeln übersät, furchterregend noch immer. Er, der einst ein afrikanisches Dorf vor Kolonialmächten schützen sollte; er, dessen Körper immer bedeutsamer wurde mit jedem Nagel, der in ihn geschlagen wurde: Jetzt liegt er in einer Kiste aus dünnen Spanplatten in der Restaurierungswerkstatt des Ethnologischen Museums in Dahlem.
Schutz vor feindlichen Mächten
Bis vor kurzem war der „Mangaaka“, eine Kraftfigur aus dem Kongo-Gebiet, noch in der Afrika-Ausstellung des mittlerweile geschlossenen Ethnologischen Museums zu sehen. Nun liegt er gebettet auf Styropor und wartet auf seinen nächsten großen Auftritt, der ihn in eine ganz und gar ungewohnte Umgebung führen wird: ins Bode-Museum, zu den Kunstwerken des christlichen Mittelalters. Dort wird er ab Ende Oktober in der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ zu sehen sein.
Jonathan Fine, ein Kurator der Afrika- Abteilung des Ethnologischen Museums, streift dünne Plastikhandschuhe über, bevor er den Deckel der Kiste öffnet. Die mächtige und schützende Skulptur, eine von weltweit nur noch 17 Mangaaka-Figuren, starrt ihn aus ihren riesigen weißen Porzellan-Augen an. Fine deutet auf ein handtellergroßes Loch in der Höhe des Nabels: „Hier wurden die Substanzen eingeführt, dann wurde das Loch mit einem Spiegel oder einer Kauri-Muschel verschlossen“, erklärt er. „In dieser Figur sind keine Substanzen mehr enthalten. Offenbar wurden sie entfernt, damit die Skulptur verkauft werden konnte.“
Substanzen? Das waren Naturstoffe pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Ursprungs, die der Skulptur Kraft verleihen sollten, um das Dorf an der Kongo-Mündung vor feindlichen Mächten zu schützen. Auch die Nägel im Körper der Skulptur hatten eine Funktion. „Wenn etwa Verträge geschlossen wurden oder Urteile gesprochen wurden, hieb man zur Bekräftigung einen Nagel in die Schutzfigur.“
Mangaaka-Kraftfigur trifft Schutzmantelmadonna
Entstanden sind diese martialischen Figuren in der Auseinandersetzung mit den Kolonialherren, an der westafrikanischen Loango-Küste. Europäer waren bereits seit 1500 in der Region anwesend. Die Mangaaka-Kraftfigur, gefertigt um 1880, wurde von Robert Visser erworben, einem deutschen Angestellten bei einer niederländischen Handelsgesellschaft. Er schenkte sie 1904 dem Berliner Museum.
Ausdrucksstarke Skulpturen wie der Mangaaka waren bei europäischen Sammlern beliebt. Die Einheimischen schrieben dagegen mitunter anderen Werken größere Wirkungskraft zu: Auf dem Tisch in der Dahlemer Restaurierungswerkstatt steht eine Skulptur aus Ästen, Wurzeln, Pflanzenfasern, ein Knäuel, das entfernt an einen Hund erinnert. „Diese Skulptur wirkt auf Europäer weniger attraktiv, könnte aber genauso wichtig gewesen sein“, sagt Fine.
Rund zehn Kilometer Luftlinie entfernt von der Restauratorenwerkstatt in Dahlem steht Julien Chapuis zwischen christlichen Bildwerken im Bode- Museum und sagt: „Auf diese Gegenüberstellung freue ich mich besonders: Die Mangaaka-Kraftfigur und die Schutzmantelmadonna.“ Hier wird die afrikanische Skulptur ab dem 27. Oktober zu sehen sein: neben einer sanften Madonna aus Lindenholz, um 1480 von dem Ulmer Bildhauer Michel Erhart geschaffen. Sie breitet ihren blauen Mantel schützend über zehn kleine menschliche Figuren, die langen Haare fallen ihr über die Schulter, sie blickt in die Ferne – ein tröstendes Werk, ganz anders als der kämpferische Mangaaka.
„Sie behandeln dieselben großen Menschheitsthemen“
Gar nicht zu vergleichen? „Unvergleichlich“ wird die Ausstellung heißen, denn in der Tat: Die 22 Kunstwerke aus Afrika und die 22 weiteren aus dem christlichen Mittelalter, die einander in Paaren gegenübergestellt werden, unterscheiden sich in Ausführung, Funktion, Kunstfertigkeit, Entstehungsdatum und vielem mehr, so dass sie sich eigentlich nicht vergleichen lassen.
Und doch: „Sie behandeln dieselben großen Menschheitsthemen“, sagt Chapuis, der seit 2008 Leiter der Skulpturensammlung im Bode-Museum ist. „Beim Mangaaka und bei der Madonna geht es um Schutz: Beide sollen ihre Gemeinschaften vor Gefahren bewahren.“ Julien Chapuis, Jonathan Fine und Paola Ivanov, ebenfalls Kuratorin der Afrika-Abteilung, haben lange überlegt, welche Objekte aus den Sammlungen beider Museen zueinanderpassen, einander bereichern: zum Beispiel die Gedenkfigur des Königs Fosia aus Kamerun und die Statue der französischen Königin Jeanne de Navarre – oder zwei bronzene Aquamaniles (Handwaschgefäße) aus dem Königreich Benin und aus Norddeutschland, in Form eines Leoparden bzw. eines Löwen.
Dabei steht auch die Frage nach den „großen Menschheitsthemen“ – Schutz, Tod, Geschlecht, Macht – im Raum. Wo liegen Parallelen in der künstlerischen Bearbeitung dieser Themen, wo Unterschiede? „In der europäischen Kunst wird der Tod als endgültiger Abschied dargestellt, in afrikanischen Kulturen sieht man ihn eher als einen Übergang, die Verstorbenen bleiben präsent“, sagt Chapuis, der sich seit langem für afrikanische Kunst begeistert.
Fragwürdige Einordnung
Die 22 Paare werden voraussichtlich bis Ende 2019 im Bode-Museum bleiben, wenn das Humboldt Forum eröffnet, das ein Ort sein möchte, an dem sich die Kunstwerke der Weltkulturen auf Augenhöhe begegnen. Ein solches afrikanisch-europäisches Paar ist jetzt schon im Bode-Museum zu sehen, als Teil der Ausstellung „Neue Nachbarn“, die seit Juni 2017 in den Häusern der Museumsinsel Paarungen aus aller Welt präsentiert. Julien Chapuis zeigt das kleine, feine Paar zuerst von vorne: Die Statuette einer Göttin oder Prinzessin aus dem Königreich Benin (Nigeria, 16./17. Jahrhundert) steht neben dem „Putto mit Tamburin“ von Donatello (1429, Florenz). Interessant sind die beiden auch von hinten: Auf dem Rücken der Benin-Prinzessin prangt, unübersehbar groß, eine Inventarnummer, beim Putto dagegen ist die Nummer nicht sichtbar. „Das zeigt: Das afrikanische Kunstwerk wurde als ethnologisches Material quasi gebrandmarkt, der Putto dagegen wurde als Kunstwerk behandelt“, sagt Chapuis. „Dabei sind sie, was Ausführung und Ausstrahlung angeht, durchaus ebenbürtig.“
Auf welch fragwürdige Weise Kunstwerke sortiert und eingeordnet wurden, ist ein Thema, das sich durch die ganze Ausstellung ziehen wird. Die Europäer konnten die Werke der anderen Kulturen nicht als gleichberechtigte Kunstwerke anerkennen, sie stellten sie in die Ecke als exotisch, freigegeben zum Staunen, Wundern, Belächeln und auch Gruseln. Die Ausstellung möchte dagegen zeigen: „Es gibt in allen Kulturen Meisterwerke und andere Werke, die eher aus funktionalen Gründen interessant sind“, sagt Chapuis. Auch die meisten Kunstwerke im Bode-Museum hatten ursprünglich eine konkrete religiöse Funktion, waren Teil der Liturgie, eines Altars und wurden auf Prozessionen herumgetragen.
Und auch diese Werke sind mittlerweile stark erklärungsbedürftig. „Bei Führungen werde ich von jungen Leuten oft gefragt: Wieso stehen hier so viele Darstellungen einer jungen Frau mit einem Baby?“, erzählt Chapuis. Die Bedeutung christlicher Bildwerke, von der Madonna bis zu Märtyrerbildern und Szenen aus der antiken Mythologie, ist nur noch wenigen präsent. Ist es dann auch denkbar, dass Besucher der Ausstellung bei einigen Paarungen fragen werden, welches hier das europäische und welches das afrikanische Kunstwerk ist? Das, sagen Jonathan Fine und Julien Chapuis übereinstimmend, sei dann doch eher unwahrscheinlich.
„Vis à vis. Asien trifft Europa“ beleuchtet den Austausch von Ideen, Materialien und Techniken zwischen Asien und Europa. Hier sprechen Christine Waidenschlager (Kunstgewerbemuseum) und Alexander Hofmann (Museum für Asiatische Kunst) über ihre Studioausstellung zum Einfluss des Kimono auf die Mode West-Europas.
Interview: Wibke Schrape
Was ist in diesem Teil der Reihe „Vis à Vis“ zu sehen? Alexander Hofmann (Museum für Asiatische Kunst): Es geht um die Wirkung des traditionellen Kimono auf die europäische Mode-Avantgarde im frühen 20. Jahrhundert. Christine Waidenschlager (Kunstgewerbemuseum): Wir zeigen, dass der Kimono – das japanische Gewand schlechthin – als Impulsgeber zweimal in der Europäischen Mode auftaucht. Da ist zunächst das 17. und 18. Jahrhundert, als sich Männer im Haus gerne in einen in Kimonoform gearbeiteten Hausmantel hüllten. Später, nach 1900, regt der Kimono moderne Designer an.
Worum geht es in der Intervention genau? AH: Im Zentrum steht ein Kleid des französischen Designers Paul Poiret von 1910, das in Form, Farben und der Verwendung eines textilen Gürtels Anregungen des Kimono aufgreift und zu höchster europäischer Couture umformt. Es trifft hier auf einen Kimono derselben Zeit. CW: Der Kimono ist ein gerades Gewand, er wird nicht geknöpft sondern um den Körper gewickelt und ergibt eine röhrenförmige Silhouette. In Europa war man aber seit dem frühen 14. Jahrhundert dazu übergegangen, Kleidung zuzuschneiden und eine körpernahe Silhouette zu erzeugen, bis hin zu ziemlich extremen Formen, wie der Stundenglassilhouette oder der Sans-Ventre Linie in späteren Jahrhunderten. Diesen Extremen setzte der französische Modeschöpfer Paul Poiret nach 1900 eine neue Linie entgegen, die ihre Inspiration unter anderem aus der geraden Form des Kimono bezog. Und dies kann man an seinem Gegenüber, dem wunderbaren Kimono aus der Taisho-Zeit (1912–1926) sehr gut sehen.
Christine Waidenschlager (Kunstgewerbemuseum) und Alexander Hofmann (Museum für Asiatische Kunst) in der Modegalerie des Kunstgewerbemuseums. Foto: Wibke Schrape
Welches ist Ihr Lieblingsstück? CW: Mein Lieblingsstück ist natürlich unser Poiret-Modell, denn je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr erkannte ich, bis zu welchen Details Poiret sich mit dem Kimono auseinandergesetzt hat. Angefangen vom Schnitt, über das Zitat der Obi-Form, die uns hier mit dem strahlend roten Gürtel mit vertikal gestellter Schleife im Rücken entgegentritt. Aber auch die Farbwahl, die kühne Kombination eben dieses strahlenden Rots mit einem kräftigen Violett, begeistert mich immer wieder. AH: Mich begeistern die japanischen Haarnadeln, die meine Kollegin Christine Waidenschlager aus den japanischen Beständen des Kunstgewerbemuseums ausgegraben hat und die nun in der Accessoire-Vitrine zu sehen sind. Sie wurden 1882 von dem Mediziner Hans Paul Bernhard Gierke gestiftet, der eine der frühesten, historisch-systematischen Sammlungen japanischer Malerei in Deutschland zusammengetragen hat. Diese Sammlung wurde 1882 als zweite Sonderausstellung des Kunstgewerbemuseums präsentiert, anschließend durch die Berliner Museen erworben und ist heute weitestgehend vergessen, da sie mit Ausnahme weniger Werke im Ethnologischen Museum und Museum für Asiatische Kunst nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlagert wurde.
Womit beschäftigen Sie sich gerade jenseits von „Vis à Vis“ ? CW: Ich beschäftige mich eigentlich immer noch mit dem Kultur-Transfer von Ost nach West, doch in einer viel früheren Epoche, indem ich unsere mittelalterlichen Gewebe bearbeite, da ich endlich mehr davon ins Netz stellen möchte. Bei fast allen Stücken stellt sich hier die Frage, was chinesisch, was zentralasiatisch, was persisch ist und was davon in welcher Form in die europäische Webkunst eingeflossen ist. AH: Mich beschäftigt die Realisierung der neuen Galerien für Kunst aus Japan im Humboldt Forum und hierbei insbesondere der Teeraum, der durch einen japanischen Designer gestaltet werden soll.
In der ständigen Ausstellung des Kunstgewerbemuseums trifft nun Asien auf Europa. Objekte aus beiden Häusern treten in fünf thematischen, materiellen und motivischen Interventionen in einen assoziativen Dialog. Die Sonderausstellung „Vis à vis. Asien trifft Europa“ wird etappenweise eingerichtet und verändert jeweils bis zur Eröffnung am 14. Dezember 2017 den Rundgang durch das Haus.
Männliche Ahnenfigur, Hemba (Demokratische Republik Kongo), 19. Jh.
Die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ lädt Besucherinnen und Besucher ein, afrikanische und europäische Kunstwerke im Zusammenspiel zu betrachten. Auch unser Kollege Fabian Fröhlich hat sich umgeschaut.
Statuette der Göttin Irhevbu oder der Prinzessin Edeleyo, Königreich Benin (Nigeria), 16. oder 17. Jh.; Putto mit Tamburin, Donatello, Toskana (Italien), 1429;Gedenkkopf einer Königinmutter (iyoba), Königreich Benin (Nigeria), 16. Jh.; im Vordergrund: Bildnis einer jungen Dame (“Marietta Strozzi”), Desiderio da Settignano, Florenz (Italien), um 1462; im Hintergrund: Verkündigung an Maria, Lucca (Italien), um 1510Gedenkkopf einer Königinmutter (iyoba), Königreich Benin (Nigeria), 16. Jh.Mangaaka (Kraftfigur, nkisi n’kondi), Yombe (Republik Kongo, Demokratische Republik Kongo oder Angola), 19. Jh.; im Hintergrund: Zamser Retabel mit Muttergottes und Heiligen, Tirol (Österreich) , um 1485Schutzmantelmadonna, Michel Erhart, Ulm (Deutschland), um 1480; im Vordergrund: Mangaaka (Kraftfigur, nkisi n’kondi), Yombe (Republik Kongo, Demokratische Republik Kongo oder Angola), 19. Jh.Leoparden-Aquamanile, Königreich Benin (Nigeria), 17. Jh.Leoparden-Aquamanile, Königreich Benin (Nigeria), 17. Jh.Endstück eines Zepters, Chokwe (Angola), Mitte 19. Jh.; im Hintergrund: Samson und der Löwe, Belgien, 16. Jh.Gedenkkopf eines Königs oder Würdenträgers, Ile-Ife (Nigeria), 12.-15. Jh.Sogenannte “Prinzessin von Urbino”, Italien, zweite Hälfte 15. Jh.; im Hintergrund: Die Heiligen Margarete und Dorothea, Mesiter der Atöttinger Türen, Bayern (Deutschland), 1515-20Männliche Ahnenfigur, Hemba (Demokratische Republik Kongo), 19. Jh.Bildnis eines jungen Mannes, Baccio Bandinelli, Florenz (Italien), um 1540; im Vordergrund: Maske, Puni (Gabun), 19. Jh.Ahnenfigur, Buli-Meister, Luba (Demokratische Republik Kongo), 19. Jh.; im Hintergrund: Reliquienbüste eines Heiligen, Spanien, 17. Jh.Ahnenpaar, Dogon (Mali oder Burkina Faso), 19. Jh.; im Hintergrund: Christus-Johannes-Gruppe, Bodenseegebiet (Deutschland), um 1310Reliquiarfigur (byeri), Fang, Ngumba (Kamerun), 19. Jh.Maria mit dem toten Christus (Pietà), Spanien, 1680-1700Christus auf dem Palmesel, Schwaben (Deutschland), um 1530; im Hintergrund: Maske der Ndunga-Gesellschaft, Loango, Vili (Republik Kongo), 19. Jh.Maske der Ndunga-Gesellschaft, Loango, Vili (Republik Kongo), 19. Jh.Mulwalwa-Maske, Kuba-Königreich (Demokratische Republik Kongo), 19./frühes 20 Jh.Gedenkkopf eines Königs, Königreich Benin (Nigeria), 17.-18. Jh.; im Hintergrund: Kaiserkopf von einer Statue, Oströmisches Reich, 4. Jh.Thronende Muttergottes, Presbyter Martinus, Toskana (Italien), 1199Reliquiarfigur (byeri), Fang-Ntumu oder -Ngumba (Kamerun), 19. oder 20. Jh.Bwiti-Reliquiarfigur, Kota oder Kele (Gabun), 19. Jh. Im Hintergrund: Reliquienbüste eines Bischofs, Belgien, um 1520Memento Mori, Paris (Frankreich), um 1520; im Hintergrund: Zwei menschliche Figuren mit Schale, Warua Meister, Luba, Republik Kongo), 19. Jh.Christus im Elend, Hans Leinberger, Landshut (Deutschland), um 1525König und Kulturheros Chibinda Ilunga, Chokwe (Angola), 19. Jh.Männliche Ahnenfigur, Hemba (Demokratische Republik Kongo), 19.Jh.; im Hintergrund: Büste des Willibald Imhoff, Johann Gregor van der Schardt, Nürnberg (Deutschland), 1570Herkules, Deutschland, 17. Jh.; im Hintergrund: Salzgefäß, Sapi-Künstler (Sierra Leone), um 1500
Erstmals seit 80 Jahren führt eine Ausstellung in der Gemäldegalerie Jean Fouquets Diptychon aus der Stiftskirche von Melun zusammen. Im Vorfeld der Sonderausstellung fanden maltechnische Untersuchungen des linken Flügels mit Etienne Chevalier und dem Heiligen Stephanus statt.
Text: Sandra Stelzig
Das in der Ausstellung gezeigte Bilderpaar ist eines der Hauptwerke der französischen Malerei des 15. Jahrhunderts und wurde zuletzt auf der Weltausstellung von 1937 in Paris zusammen gezeigt. Der ehemals linke Flügel, der ein Porträt des Stifters Etienne Chevalier enthält, befindet sich seit 1896 im Besitz der Gemäldegalerie. Der rechte Flügel, auf dem eine Madonna dargestellt ist, gehört seit dem frühen 19. Jahrhundert dem Museum für Schöne Künste in Antwerpen.
Maltechnische Forschung
Die Vorbereitung der von Stephan Kemperdick kuratierten Ausstellung bot uns eine einmalige Gelegenheit, die linke Tafel des Diptychons mit Etienne Chevalier und dem Heiligen Stephanus kunsttechnologisch zu untersuchen. Die Arbeit fand im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Ernst von Siemens Kunststiftung geförderten Forschungsprojektes statt.
Es gelang uns, Fragen zur Entstehung und zum maltechnischen Aufbau des Bildes zu klären und mit Hilfe von Mikroskopie und der parallelen Auswertung technischer Aufnahmen, wie Röntgen, Infrarotreflektographie und UV-Fluoreszenz neue Erkenntnisse zu gewinnen. Zerstörungsfreie naturwissenschaftliche Analysen wurden in Zusammenarbeit mit dem Rathgen-Forschungslabor durchgeführt.
Infrarotreflektographie
In der Infrarotreflektographie (IRR) zeichnen sich Materialien, die Infrarotstrahlen absorbieren, dunkel ab. Dazu gehören vor allem kohlenstoffhaltige Materialien wie Zeichenkohle. So werden unter dem IRR Zeichenstriche sichtbar, auch wenn sie durch Farbschichten übergedeckt sind. Durch dieses bildgebende Verfahren erhalten wir Informationen über die Unterzeichnung und können nachvollziehen, welche Schritte und Änderungen ein Künstler bei der Entwicklung eines Werkes gemacht hat. Im Fall von Fouquets Werk ist das Portrait Etienne Chevaliers in der IRR doppelt gezeichnet zu sehen. Der Künstler hat den Kopf zuerst weiter links angelegt und später nach rechts verschoben. Beide Versionen sind exakt gleich, die Konturen nur parallel verschoben. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass die Striche der Unterzeichnung aus kleinen Punkten bestehen. Dadurch konnten wir darauf schließen, dass hier eine Porträtvorlage mittels Lochpause übertragen wurde. Dazu werden die Umrisse einer auf Papier vorliegenden Zeichnung perforiert, anschließend auf den Bildträger gelegt und mit feinem Pulver aus Kohle oder Pigmenten bestäubt, welches durch die Löcher dringt und sich darunter als kleine Punkte ablagern. Das von Fouquet genutzte schwarze Pulver lässt sich mikroskopisch in der Malschicht nachweisen.
Röntgenaufnahme
Im Zuge der Untersuchungen machten wir auch eine Röntgenaufnahme (XR). Ähnlich wie bei der Infrarotreflektographie zeichnen sich dabei bestimmte Materialien ab – in diesem Falle solche, die Röntgenstrahlen absorbieren. Das sind vor allem bleihaltige Farben wie Bleiweiß, Blei-Zinn-Gelb oder Mennige, die auf der Aufnahme hell zu sehen sind. Die Aufnahme gibt auf diese Weise Informationen über Farbaufträge, Pinselführung und während des Malens vorgenommene Korrekturen, so genannte Pentimenti (ital. Für „Reuestriche“). Sie müssen in Abgleich mit mikroskopischen Befunden ausgewertet werden, um sinnvolle Rückschlüsse zu ermöglichen. In diesem Beispiel ist erkennbar, dass Fouquet den Porträtkopf von Chevalier bereits mit Farbaufträgen ausgeführt hatte, bevor er korrigiert und verschoben wurde. Auch das Gewand des Heiligen Stephanus war zu diesem Zeitpunkt bereits ausgearbeitet wie rechts an Wange und Kinn zu sehen ist. Entlang seiner Kopfkontur ist an Stirn und Haaransatz eine feine dunkle Linie erkennbar, die durch Einritzen in die weiche Farbe entstand.
UV-Fluoreszenz-Untersuchung
Unter UV-Licht beginnen einige Materialien in Abhängigkeit ihres Alters zu fluoreszieren. Gealterte Naturharzfirnisse erscheinen grünlich, einzelne Pigmente zeigen individuelle Fluoreszenzen. Aufliegende jüngere Retuschen zeichnen sich meist dunkel ab, und lassen sich dadurch gut erkennen, wie hier entlang der senkrechten Fuge zwischen zwei Brettern des Bildträgers. Das in der Retusche zusätzlich verwendete Zinkweiß erscheint dagegen heller.
In dem Kopf des Heiligen Stephanus zeichnet sich eine Linie ab, die der Kontur von Kopf und Stirn folgt, aber etwas weiter rechts liegt. Mikroskopisch ist sie als leicht plastisch erhaben zu sehen und in der UV-Fluoreszenz ist sie sichtbar. Auch in dieser Figur wurde also die Position des Kopfes während der Entstehung des Bildes verschoben. Ein Abgleich mit der Röntgenaufnahme derselben Partie zeigte uns, dass es hier keine korrigierten Farbaufträge gibt. Daraus können wir ableiten, dass diese Veränderung vergleichsweise früh im Entstehungsprozess des Gemäldes stattfand. Obwohl die Fluoreszenzuntersuchung eine Oberflächenuntersuchung ist und anders als IRR oder XR nicht in die Tiefe dringt, erhalten wir durch sie dennoch wesentliche Informationen über den Bildaufbau.
Erkenntnisse über den Farbschichtaufbau
Die bereits beschriebenen Untersuchungsmethoden erfordern stets einen zusätzlichen, sehr genauen Blick – dafür eignet sich die mikroskopische Untersuchung mittels Stereoskop am besten. So zeigt die dabei entstandene Mikroskopaufnahme des Malschichtrandes von Fouquets Werk deutlich die helle Grundierung, eine weiße Zwischenschicht sowie die lokale rotbraune Untermalung unter dem Blau des Gewandes. Mit der weißen Zwischenschicht deckte der Künstler seine erste Unterzeichnung ab, die dann nur noch schwach zu sehen war. Die ungewöhnliche rotbraune Untermalung im blauen Gewand hat Fouquet auch im Antwerpener Gegenstück verwendet. Sie ist ein zusätzlicher Beleg für die enge Zusammengehörigkeit beider Tafeln. Das mikroskopische Bild der Farbveränderungen im Blau hin zu weiß ist ein Hinweis darauf, dass Fouquet natürlichen Lapislazuli als Blaupigment verwendete.
Im Stereomikroskop wird die Pinselführung sichtbar
In der mikroskopischen Untersuchung wurde auch deutlich, mit welchen Mitteln und Techniken Fouquet die Malerei ausführte. So lässt sich die Strichführung seiner Hand direkt nachverfolgen. Die Wimpern am oberen Augenlid des Stephanus setzte er sorgfältig in parallelen Strichen mit spitzem Pinsel und nivellierte sie anschließend. Die Striche der Wimpern wurden dabei durch quer dazu in die noch nasse Farbe gesetzte Striche abgeschwächt und Farbe wieder abgetragen oder verwischt.
Die Gemälderückseite verrät Details über die Geschichte des Gemäldes
Zu der kunsttechnologischen Untersuchung gehört auch eine eingehende Betrachtung des Bildträgers und seiner Materialien. Die Tafel aus vier Brettern westeuropäischer Eiche wurde auf der Rückseite in großem Umfang gedünnt, so dass sie heute nur zwischen drei und fünf Millimeter stark und äußerst fragil ist. Das Dünnen von Bildträgern ist eine historische Maßnahme; man nahm an, bei gedünnter Tafel und aufgeleimtem Parkett würde sich das Holz weniger bewegen. Tatsächlich führten diese Maßnahme jedoch nicht selten zu großen Schäden und stärkeren Rissen in den Bildträgern, da die Bildtafeln häufig extrem unter Spannung stehen. Die historischen Dübel, mit denen die Bretter verbunden sind, wurden bei der Dünnung aufgesägt und halbiert. Seitlich und in der oberen Ecke wurde anschließend ein dünnes Nadelholzfurnier auf die Rückseite aufgeleimt und dessen Übergang zum Original sorgfältig geglättet, offenbar um die hier besonders drastisch gedünnte Tafel zu stabilisieren. Ebenfalls stabilisierend sollte das aufgeleimte Gitter aus stabilen Leisten wirken, eine so genannte Parkettierung, wie sie uns als historische Restaurierungsmaßnahme bei zahlreichen Tafelbildern begegnet.
Die Grenzkontur zwischen Furnier und Tafelrückseite zeigt einen auffälligen, gezackten Verlauf – das deutet auf einen stattgefundenen rückseitigen Sägeschnitt parallel zur Bildfläche hin. Aus diesem lässt sich eine mögliche Tafelspaltung ableiten. Dabei wurden beidseitig bemalte Tafeln durch einen senkrechten Sägeschnitt parallel zur Bildfläche zerteilt, um zwei getrennte, eigenständige Gemälde zu erhalten. Wir können also davon ausgehen, dass die Rückseite dieser Tafel von Fouquets Diptychon einst so aufwendig gestaltet war, dass eine derartig aufwendige und riskante Prozedur gerechtfertigt erschien.
Die beschriebenen Beispiele zeigen, wie durch kunsttechnologische Forschung wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, die gemeinsam mit der kunsthistorischen Forschung sogar die völlige Neubewertung eines Kunstwerks zur Folge haben können. Etwas ganz Besonderes ist es natürlich, ein so bedeutendes Werk wie Fouquets „Diptychon von Melun“ untersuchen zu können. Wer sich das Werk im Original ansehen möchte, hat dazu noch bis 7. Januar 2018 in der Gemäldegalerie Gelegenheit.
Mit Beginn der Adventszeit startet für viele die Suche nach den passenden Weihnachtsgeschenken. Um die Suche zu erleichtern, haben wir 10 Geschenkideen für euch zusammengestellt.
1) Replik einer römischen Halskette aus dem 2.-3. Jahrhundert n. Chr., 120 €
Das Originalobjekt besteht abwechselnd aus Gliedern in Form eines „Heraklesknotens“ aus Golddraht und unregelmäßigen hellblauen Saphiren. Der „Heraklesknoten“ kommt seit dem 4. Jahrhundert vor Christus häufig bei Schmuck vor. Als kunstvolle und stabilste Form eines Knotens aus zwei Strängen steht er für die perfekte Verbindung von zwei Partnern und konnte deshalb u.a. die Hochzeit symbolisieren. Kaufen
2) Steiff-Tier „Labbu“, nach dem Löwen von der Prozessionsstraße, 99 €
Der Löwe wurde im Alten Orient „Labbu“ genannt. Unser Wort „Löwe“ stammt von diesem Begriff ab. Der babylonische König Nebukadnezar II. ließ im 6. Jahrhundert vor Christus eine prachtvolle Prozessionsstraße bauen. Die Straße wurde mit farbig glasierten Ziegeln verziert, auf denen fast lebensgroße Löwen abgebildet waren. Über zweitausend Jahre später wurden die Überreste dieser Ziegel bei Ausgrabungen in Babylon (im heutigen Irak) gefunden. Von den ursprünglich 120 Löwen der Prozessionsstraße sind heute 30 im Pergamonmuseum in Berlin ausgestellt. Sie wurden in mühevoller Kleinarbeit aus tausenden Ziegelbruchstücken wieder zusammengesetzt. Kaufen
3) Artdiary 2018, Taschenkalender mit Highlights aus der Gemäldegalerie, dem Kupferstichkabinett und der Kunstbibliothek, 9,99 €
Der Wochenkalender im praktischen Taschenformat zeigt jede Woche ein anderes Highlight aus der Gemäldegalerie, dem Kupferstichkabinett und der Kunstblibliothek in Berlin und bietet mit 108 Seiten genug Platz für wichtige Termine. Die 47 farbigen Abbildungen laden zum Schwelgen ein und inspirieren vielleicht zum nächsten Museumsbesuch … Kaufen
4) Lippenstiftetui mit Zierstreifen einer ägyptischen Tunika aus dem 6.-7. Jahrhundert, 6,90 €
Dieses Detail eines Zierstreifens ist ein typisches Beispiel für den Dekor spätantiker Tuniken, der in der Regel symmetrisch angelegt war. Solche Streifen verliefen beidseitig der Halsöffnung über die Brust und den Rücken und reichten mitunter bis zum Saum. Ihre Motive sind vielfältig: Beliebt waren Weinranken, Blüten und Blätter, Rosetten und Palmetten, aber auch verschiedene Tiere und Wasserlandschaften. Auch mythologische oder biblische Gestalten kommen wiederholt vor. Kaufen
5) Puzzle Jan Brueghel d. J. „Das Paradies“, 19,50 €
Während der Wartezeit aufs nächste Weihnachtsfest hilft dieses 1.000-teilige Puzzle von Ravensburger mit einem Highlight der Gemäldegalerie: „Das Paradies“, um 1650, von Jan Brueghel d. J. Kaufen
Das Motiv dieses eleganten Schals (176,5 x 57 cm) stammt von dem Dresdner Kunstgewerbeschullehrer Karl Gotthelf Krumbholz. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen in England, Frankreich und Deutschland ornamentale Vorlagenwerke für Gestalter, die auf einem neu belebten Pflanzenstudium aufbauen. Mit dieser Hinwendung zur Natur richtet sich der Künstler auch gegen den Historismus der Zeit. Kaufen
7) Replik der Göttin Bastet in Gestalt einer sitzenden Katze, Spätzeit, 36 €
Unter den zahllosen Katzenbronzen aus Ägypten ist diese Figur womöglich eine der schönsten. Die Replik (11,5 x 8,5 x 4,5 cm) zeigt eine sitzende Katze in aufmerksam beobachtender Haltung. Besondere Strahlkraft und Lebendigkeit verleihen ihr die Augen, deren Augäpfel bis auf die Pupillen weiß übermalt wurden. Um den Hals trägt sie eine dreireihige Kette an der im Brustbereich eine weitere mit einem Anhänger in Gestalt eines Udjat-Auges befestigt ist. Auf dem Scheitel des Kopfes ist zudem ein Skarabäus eingraviert. Die Löcher in den Ohren bezeugen ehemals vorhandenen Schmuck. Mit dem Kauf der Statuette in Mailand wurden goldene Ohrringe erworben, bei denen es sich jedoch um moderne Exemplare gehandelt hat.
Zweifellos handelt es sich bei dieser Figur um die Darstellung der Göttin Bastet. Sie wurde sicherlich als Weihgeschenk in einen Tempel in ihrem religiösen Zentrum im östlichen Nildelta, dem heutigen Tell Basta, gestiftet. Kaufen
Pablo Picasso war nach Beginn des Zweiten Weltkriegs vor der deutschen Wehrmacht an die Atlantikküste geflohen und lebte dort mit Dora Maar unter den beengten Verhältnissen eines Hotelzimmers. „Der gelbe Pullover“ ist eine Darstellung Doras, bei der es Picasso womöglich weniger um individuelle Aspekte ihrer Persönlichkeit als vielmehr um ein zeitbedingtes Sinnbild ging. Dora sitzt streng mittig in einem Lehnstuhl. Der Ausdruck des auf kubistische Art frontal und zugleich im Profil gedoppelten Gesichts wirkt majestätisch starr. Der Körper ist eingeschnürt in einen gelben Pullover, der eher einer Zwangsjacke gleicht und an die deformierenden Verhältnisse der Zeit erinnert. Kaufen
Iznik-Fliesen aus der Zeit zwischen ca. 1490 und 1700 sind für ihre leuchtende Farbpalette, ihre klare Glasur und ihre Blumendekore berühmt. Die Stadt Iznik liegt im Nordwesten der Türkei, nicht weit von Istanbul entfernt. In den dortigen Werkstätten wurde das Fliesenfeld des 16. Jahrhunderts für den Hof des osmanischen Sultans hergestellt. Die Musterentwürfe stammten aus dem Hofatelier in Istanbul. Zu großen Paneelen zusammengesetzt schmücken diese Fliesen noch heute vor allem die Innenräume osmanischer Moscheen und Paläste, erscheinen aber auch an Fassaden. Kaufen
10) Untersetzer Schlesinger „Erdbeeren und Johannisbeeren“, 12,50 €
Die Detailabbildungen des 6-teiligen Untersetzersets stammen von zwei Bildern von Johann Adam Schlesinger. Seine Darstellungen heimischer Johannis- und Erdbeerensträucher folgen in der genauen Naturbeobachtung und im dekorativen Gegenüber von Frucht und Blatt, Pflanze und kleinem Tier der Tradition holländisch-flämischer Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts. Dennoch sind sie von einem anderen, moderneren Naturbegriff geprägt: Um 1820, in einer Zeit, in der das Blumenstilleben befördert durch die Porzellanmalerei neuen Aufschwung erhielt, malte Johann Adam Schlesinger keine „nature morte“, sondern viel eigentlicher eine „nature vivante“. Die leuchtenden Johannis- und Erdbeeren sind nicht geerntet und auf einer Schale drapiert, sondern wachsen am Rande von Bäumen unter einem dämmrigen Abendhimmel in der freien Natur. Kaufen
Acht Meter funkelnde Pracht in allen Regenbogenfarben – so präsentierte sich 1956 der erste Weihnachtsbaum nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Museumsinsel. Der filigrane Schmuck von damals wird heute im Museum Europäischer Kulturen aufbewahrt.
Text von Friederike Schmidt
Weihnachtlicher Ortstermin im Depot des Museums Europäischer Kulturen: In der hintersten Ecke steht ein alter Depotschrank, der so genannte Lauscha-Schrank. Penibel gestapelt, befinden sich darin hunderte hellbraune, leicht vergilbte Kartons in den unterschiedlichsten Größen. Sie beinhalten „Glocken Silber“, „Oliven Groß bunt“ oder „Kugeln Groß Gold mit Engeln“ – insgesamt rund 1300 Objekte thüringischer Christbaumschmuck, hergestellt in den traditionellen Glasbläsereien aus Lauscha Anfang der 1950er Jahre. Sorgfältig öffnen die Museumsmitarbeiterinnen Karton um Karton. Zum Vorschein kommen filigrane Kugeln, Figürchen, Tiere, Früchte und diverse imposante Baumspitzen in den buntesten Farben, aufwendig verziert und geschmückt.
„Während heutzutage die meiste Glaskunst maschinell hergestellt wird, wurde damals fast jedes einzelne der 1300 Objekte von Hand gefertigt und anschließend bemalt“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dagmar Neuland-Kitzerow. „Dabei wurde eine Vielzahl von unterschiedlichen Techniken verwendet und unsere Kugeln sind tolle Beispiele für die Glaskunst und die vielen verschiedenen Techniken zwischen 1900 und 1950.“ Die Wissenschaftlerin kennt die angewandten Herstellungstechniken gut: „Zum einen gibt es freigeblasenen Schmuck wie die Kugeln. Dann gibt es aber noch eine andere Technik, bei der das Glas in eine Gipsform gefüllt wurde. Man erkennt sie daran, dass beim Aufbrechen am Rand eine feine Abrisskante zurückblieb.“
Anschließend wurden die Objekte bemalt und verziert. Besonders beliebt: die Verspiegelung von innen. Dazu kamen noch zahlreiche weitere Verzierungen wie aufgeklebter Glasglimmer, die als „Leonische Drähte“ bekannten metallenen Ziergitter oder einfach mit Holzstempeln eingedrückte Muster. Oft wurden auch Federn, Glasfasern oder künstliche Haare hinzugefügt, um beispielsweise einem Engel einen imposanten Rock zu verpassen. „Dass das alles Handarbeit war, kann man daran sehen, dass manchmal die Vertiefung bei einer Kugel eine Idee tiefer oder einen Tick schief aufgesetzt war. Bis ein Stück fertig war, brauchte es viele verschiedene Arbeitsdurchgänge. Besonders typisch für diese Zeit war auch, dass alles sehr bunt war: rot, grün, gelb – alles wild durcheinander“, ergänzt Neuland-Kitzerow.
Die Objekte sind nicht nur Zeugen der Handwerkskunst von vor 60 Jahren. Ihren Weg ins Museum Europäischer Kulturen fanden sie durch eine erstaunliche Geschichte, denn sie schmückten den ersten Weihnachtsbaum, der 1956 nach dem Krieg auf der Museumsinsel aufgestellt war. Ein Baum, der auf die Initiative von Helene Freifrau Ebner von Eschenbach, einer Mitarbeiterin des „Museum für Volkskunst“ – so hieß das Museum damals –, zurückging.
Blick auf die Liliputaner-Stadt; im Hintergrund der Dom
Anfang der 1950er Jahre waren die Menschen in der geteilten Stadt Berlin hungrig nach Schönem. So berichten die Zeitungen, dass hunderttausende Menschen aus Ost- und Westberlin auf den Weihnachtsmarkt auf dem Marx-Engels-Platz strömten und die BVG regelmäßig Sonderzüge einsetzen musste, um die Menschenmassen zu transportieren. Ein Artikel in einer Ost-Berliner Zeitung machte sich jedoch über den traditionellen, vermeintlich kitschigen Weihnachtsschmuck lustig. Als besonders kleinbürgerlich wurde der Schmuck aus Lauscha abgestempelt. Frau Ebner von Eschenbach wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Sie bat den Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Geheimrat Justi, einen Weihnachtsbaum im Pergamonmuseum aufstellen zu dürfen, das damals die Sammlung des „Museum für Volkskunst“ beheimatete. Da rund 80 Prozent der Bestände des Museums im Krieg verlorengegangen waren, verfügte es über keinen eigenen Weihnachtsschmuck mehr. Er musste also bestellt werden – gesagt, getan.
Helene Ebner von Eschenbach erinnert sich in einer Publikation des Museums von 1992: „Wir bestellten in Lauscha bei der Glasbläserzunft – der Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) – eine Lkw-Ladung Christbaumschmuck. Wir erbaten den schönsten Glasschmuck, der zu haben sei, viele Sorten und vor allem viele gläserne Vögel. Die Lauschauer Glasbläser reagierten umgehend. Nach kürzester Zeit standen wir vor vielen Kartons voller gläserner Kostbarkeiten. Soweit, wie ich mich erinnern kann, wurde auch der große Tannenbaum gleich mitgeliefert. Er war in Lauscha leichter zu beschaffen als in Berlin. Im großen Saal des Obergeschosses des linken Flügels des Pergamonmuseums wurde er aufgestellt. Es gab einige technische Schwierigkeiten, diesen großen Baum stabil aufzustellen. Aber dann war er fest aufgerichtet, so wie wir es uns gewünscht hatten. Seine Spitze reichte bis unter das Glasdach. Danach begannen wir sofort, ihm seinen Festschmuck anzulegen. Der (längst heimgegangene) Magazinmeister Friedrich Samotya und ich stiegen 14 Tage lang, den Henkelkorb am Arm, an zwei langen Ausziehleitern unermüdlich auf und nieder. Die Spitze machten wir zum Quartier der Vögel. Es blitzte und funkelte von Silber und Gold und strahlte in allen Regenbogenfarben. Wir hatten ein wenig das Gefühl der Teilnahme am 5. Schöpfungstag. Wir verteilten den Schmuck nicht nur an den äußeren Zweigen des Baumes, sondern schmückten von innen nach außen. Dabei verbrauchten wir viele Meter roten Seidenbandes. Um alles richtig plazieren und hängen zu können, mußten wir oftmals richtig in den Baum ‚hineinkriechen‘, zuletzt steckten wir die Kerzen auf die Zweige. Und da stand er nun vor uns: Unser Baum voller Pracht und Schönheit, wie wir es uns gewünscht hatte. Was dann passierte, kann ich im Rückblick nur als ‚echtes Weihnachtswunder‘ bezeichnen“.
Nach und nach sprach sich auf dem Weihnachtsmarkt am Lustgarten herum, welch imposanter Baum im Museum zu sehen war. Innerhalb kürzester Zeit war der Baum Stadtgespräch, wie Frau Ebner von Eschenbach beschreibt, und viele Leute standen andächtig vor ihm. Eine in Tränen aufgelöste Frau gestand: „Ick muss heulen, weil et jar so scheen is“. Kein Wunder – der acht Meter hohe Baum muss eine beeindruckende Erscheinung an Glitzer, bunten Farben, wippenden Vögeln und tausendfach in den verspiegelten Glaskugeln dupliziertem Kerzenschein gewesen sein.
Nach dem Weihnachtsfest wurde der Schmuck zunächst im Depot des Museums in Mitte aufbewahrt. In den 1990er Jahren, als die ost-berliner und west-berliner Sammlungen als „Museum für Volkskunde“ wiedervereint wurden, gelangte er schließlich nach Dahlem. Nur ein einziges Mal wurde der Schmuck seither wieder verwendet: 2014 schmückte er den Weihnachtsbaum im nun durch die Europäischen Sammlungen erweiterten und umbenannten „Museum Europäischer Kulturen“. Obwohl der Baum mit rund viereinhalb Metern nur halb so groß war wie der ursprüngliche Baum und auch nur ein Bruchteil des Schmuckes verwendet wurde, kann man den Anblick erahnen, der den Berlinern in einer Zeit des Mangels vor rund 60 Jahren vor Augen gestanden hatte.